Freiheit und Privatsphäre – nur noch Fiktion in der Medizin?

img_4176_smallDer Kongress Freier Ärzte 2015 hatte die in dem Jahr in der Ärzteschaft am meisten diskutierten Themen auf die Agenda gesetzt: das Versorgungsschwächungsgesetz, die neue GOÄ und das E-Health-Gesetz mit der elektronischen Gesundheitskarte. Referiert und diskutiert haben Juristen, Ökonomen, Ärzte und Datenexperten.

Die Teilnehmer des Kongresses Freier Ärzte 2015 in Berlin fassen folgenden Beschluss:
Das Versichertenstammdatenmanagement stellt den Einstieg in eine Telematik-Infrastruktur dar, die den Schutz der Gesundheitsdaten unserer Patienten ebenso wie die ärztliche Schweigepflicht in hohem Maße gefährdet. Zentral gespeicherte Gesundheitsdaten können auf Dauer nicht gesichert werden. Wir als Ärzte werden uns an der Durchführung des VSDM nicht beteiligen, ungeachtet von Anreizen oder Sanktionen. Wir fordern die Ärzteschaft in Deutschland auf, sich dieser Position anzuschließen und sich am VSDM ebenfalls nicht zu beteiligen.

Im Folgenden fassen wir die Vorträge und Diskussionbeiträge zusammen.

Gesundheitspolitik verstößt gegen Grundgesetz

Wolfram-Arnim Candidus, Wieland Dietrich, Dr. Thomas Drabinski, Jan Scholz (Moderator)
Wolfram-Arnim Candidus, Wieland Dietrich, Dr. Thomas Drabinski, Jan Scholz (Moderator)

„Das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (VSG) stärkt nicht die medizinische Versorgung der Bevölkerung, sondern verschlechtert sie“, sagte Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft e. V. „Wenn Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe Tausende von inhabergeführten, wohnortnahen Arztpraxen abbauen will, handelt er entgegen der Erkenntnis, dass eine älter werdende Bevölkerung mehr Ressourcen und Behandlungsmöglichkeiten erfordert.“ Dennoch will der Gesetzgeber mit dem VSG die Gesundheitsversorgung „zukunftsfest“ machen. „Die Zukunftsfestigkeit des VSG zeigt sich im kompromisslosen politischen Willen zur Manifestation staatsmedizinischer Strukturen“, kritisierte Dr. Thomas Drabinski, Leiter des Instituts für Mikrodatenanalyse in Kiel.

Verfassungsrechtler Prof. Helge Sodan
Verfassungsrechtler Prof. Helge Sodan

Auch einem verfassungsrechtlichen Blick hält das VSG nicht Stand: Die zunehmende Ausrichtung der Medizin auf Wirtschaftlichkeit stehe dem Grundgesetz entgegen, das den Rechtsgütern „Leben“ und „Gesundheit“ verfassungsrechtlichen Höchstrang zuspreche, machte Wolfram-Arnim Candidus klar. „Der Mediziner darf sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit nicht über anerkanntes Fachwissen und feste Standards der Medizin zum Nachteil des Patienten hinwegsetzen“, erläuterte der Präsident der Bürger Initiative Gesundheit e. V.

Erneut bescheinigte auch Helge Sodan, Professor für Staats- und Verwaltungsrecht, dem VSG in Teilen Verfassungswidrigkeit, etwa hinsichtlich der Regelung, dass Kommunen Medizinische Versorgungszentren gründen sollen können. Hier liege ein Verstoß gegen die Grundgesetzlichkeit vor. Und: Nur weil Ärzte Teil der Sozialversicherung sind, rechtfertige das nicht das Vorgehen der Regierung, ihr Verhalten bis in jedes Detail zu regeln. Das Gesundheitswesen befinde sich „tatsächlich auf dem Weg in die Staatsmedizin“, sagte er.

„In hohem Maße intransparent“

Eine heftige Debatte löste die neue GOÄ aus. Zunächst stellte Dr. Bernhard Rochell, bis vor kurzem Verhandlungsführer für die BÄK und inzwischen wieder bei der KBV tätig, den Stand der Dinge vor. 4.600 Gebührenordnungspositionen müssten verhandelt werden. Rochell sicherte nochmals zu, „dass wir dafür kämpfen, dass es keine EBMisierung der GOÄ geben wird.“ Allerdings sei auch bei der PKV das Geld nicht unendlich vorhanden.

Dr. Wolfgang Wesiack, Michael Lennartz, Dr. Bernhard Rochell, Jan Scholz
Dr. Wolfgang Wesiack, Michael Lennartz, Dr. Bernhard Rochell, Jan Scholz

Als „im hohen Maße intransparent“ kritisierte Rechtsanwalt Michael Lennartz den Verhandlungsweg. Es sei nicht absehbar, wie die Ausgestaltung des Leistungskataloges genau erfolge und wie die ärztlichen Leistungen bepreist würden. Diffus sei auch die Ausgestaltung des Paragraphenteils, bei dem es auf den genauen Wortlaut ankomme. „Es nützt nichts, wenn vom Erhalt der Analogberechnung und von der Möglichkeit von höheren Steigerungssätzen gesprochen wird, wenn die Formulierung nicht zur Prüfung zugänglich ist“, sagte Lennartz. „Es ist unverständlich, dass ärztliche Berufsverbände erst nach Präsentation der Verhandlungsergebnisse in die Willensbildung einbezogen werden sollen, da dann die entscheidenden Weichen bereits gestellt sind.“

Dr. Axel Brunngraber: "Am besten bei der alten GOÄ bleiben."
Dr. Axel Brunngraber: „Am besten bei der alten GOÄ bleiben.“

Die vernichtendste Kritik an der GOÄ-Reform äußerte FÄ-Vize Dr. Axel Brunngraber. Die Verhandlungen hätten seitens der BÄK längst abgebrochen werden müssen. Er monierte die offenbar geplante Relativierung von Einzelleistungen in Gebührenordnungspositionen. „Wir sind doch nicht dumm, wir sind approbierte Ärzte und wir wissen alle, was diese Versenkung von Einzelleistungen in Pauschalen im EBM bewirkt hat.“ Dass die Ärzte auch mit der neuen GOÄ weiter draufzahlen, stehe fest. Allein dafür, dass die Regierung es mehr als 30 Jahre verschlafen habe, die Gebührenordnung zu reformieren, „müssten wir ab morgen eigentlich das Recht haben, allen alles in Rechnung zu stellen.“ Am besten sei es, bei der alten GOÄ zu bleiben.

Dem widersprach Dr. Wolfgang Wesiack, Vorsitzender des Berufsverbandes Deutscher Internisten: „Die alte GOÄ hat erhebliche Schwächen, denn man kann über Analogziffern nicht den Fortschritt in der Medizin abbilden.“ Es gebe bereits jetzt erhebliche juristische Auseinandersetzungen. Dagegen werde mit der neuen GOÄ Rechtssicherheit geschaffen. Er schlug vor, „Abschläge für die Beihilfe zu machen“. Für diesen Vorstoß erntete Wesiack umgehend Kritik aus dem Plenum und einen Konter von Axel Brunngraber: Abschläge für die Beihilfe dürfe es auf keinen Fall geben. Stattdessen „müssen durchgehend betriebswirtschaftliche Kalkulationen her.“

Das Gold des Jahrhunderts: Patientendaten

Kai-Uwe Steffens, Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth, Dr. Silke Lüder, Daniela Schmidt (Moderatorin)
Kai-Uwe Steffens, Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth, Dr. Silke Lüder, Daniela Schmidt (Moderatorin)

Der Kongress nahm ebenso das geplante neue E-Health-Gesetz genau unter die Lupe. Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft, benannte die Profiteure des Gesetzes: „Die Medizinindustrie hat guten Grund, sich auf lukrative Geschäfte mit Patientendaten zu freuen. Medizindaten gelten jetzt schon als das Gold unseres Jahrhunderts“. Die Biotechnologie-Branche etwa habe bereits gefordert, die auf der elektronischen Gesundheitskarte (eGK) gespeicherten Patientendaten für ihre Geschäfte nutzen zu können. Auch die ersten Krankenversicherungen lockten ihre Versicherten mit Bonuszahlungen für Datenspeicherungen.

Kai-Uwe Steffens vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung verglich das E-Health-Gesetz mit der Wiedereinführung der Vorratsspeicherung von Telekommunikationsdaten. „Das E-Health-Gesetz entfaltet ein ähnlich großes Zerstörungspotenzial für das Grundrecht auf Privatheit“, so der Informatiker. Schon der Abgleich der sogenannten Versicherten-stammdaten häufe eine enorme Datenhalde an, aus der detaillierte Aussagen über die Krankengeschichte von Patienten ableitbar seien. Rechtsanwältin Dr. Franziska Meyer-Hesselbarth ergänzte: „Bei medizinischen Daten auf der eGK steht außer Frage, dass diese zugleich der ärztlichen Schweigepflicht unterliegen.“ Jedem, der sich mit der Materie eingehend und vorurteilsfrei beschäftige, sei schnell klar, das Mammutprojekt eGK sei datenschutztechnisch auf Sand gebaut worden. „Die Ärzte laufen beim Einsatz der eGK Gefahr, Ordnungswidrigkeiten oder gar Straftaten zu begehen.“

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13.06.2015