„Die Ärzteschaft ist zur Wachsamkeit aufgerufen“

FÄ-Chef Dietrich

Die Uhr tickt: Bis zum Ärztetag im Mai soll der erste Entwurf der neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) stehen. Läuft das Projekt nach den langen Debatten in der Vergangenheit nun in den richtigen Bahnen?

Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ), hat da Zweifel. Der änd sprach mit ihm über das Großprojekt der Bundesärztekammer.

Herr Dietrich, die Verantwortlichen in der Bundesärztekammer (BÄK) arbeiten mit Hochdruck an der neuen GOÄ. In den vergangenen Wochen hat es auch die eine oder andere Informationsveranstaltung für Verbände zum Stand der Dinge gegeben. Sehen Sie die Sache nun etwas gelassener als nach dem außerordentlichen Ärztetag zu dem Thema im vergangenen März?

Nun, aufatmen konnte man kurz nach dem Hamburger Ärztetag 2016, auf dem gute und wichtige Beschlüsse zur GOÄneu gefasst wurden. Wobei dem aufmerksamen Beobachter sofort klar war, dass man seitens der Herren Montgomery und Reinhard alles Mögliche getan würde, um diese Beschlüsse versanden zu lassen. Dass dies das Ziel ist, wurde auf den letzten Verbändetreffen erneut deutlich. Seitdem werden mit dem Thema „Legendierungen“, also den Leistungsbeschreibungen der GOÄ, die wirklichen Problempunkte vernebelt: Einfachsatz, Gemeinsame Kommission – Geko – und Ausgabensteuerung über die „Kopfschadenstatistik“ der Versicherer. Es ist doch jedem klar, dass die Geko ein Honorardeckelungsgremium auf Dauer ist – sonst bräuchte man sie ja nur für die Umstellungsphase von GOÄneu zu GOÄalt, also für drei Jahre, und nicht dauerhaft, so wie geplant.

Sollte man vor solch kritischen Analysen nicht den nächsten Ärztetag abwarten – da soll doch der erste Entwurf einer neuen GOÄ diskutiert werden.

Die Dinge ordentlich zu diskutieren, wäre auf dem diesjährigen Freiburger Ärztetag gut und richtig. So, wie es auf dem Hamburger Ärztetag geschah, wo sich Herr Montgomery ein „Augen zu und durch“ nicht mehr leisten konnte, nachdem der BÄK-Vorstand seine Vorlage zur GOÄneu – genauer gesagt eher die Vorlage der PKV – in Bausch und Bogen abgelehnt hatte.

Tatsächlich mussten wir aber auf dem Ärztetag 2014 in Düsseldorf bereits erleben, wie die Delegierten „überfahren“ wurden. Denn kaum jemand dort kannte die Rahmenvereinbarung zur GOÄ, die Herr Montgomery ein halbes Jahr zuvor, am 8. November 2013, unterzeichnet hatte. Sie war selbst zwei Wochen vor dem Ärztetag immer noch nicht im Deutschen Ärzteblatt veröffentlicht, geschweige denn im Vorfeld diskutiert worden. Nur auf Druck der Freien Ärzteschaft wurde den Delegierten dann wenige Tage vor dem Ärztetag ein Extrakt zugeschickt. Auch Vielen in den Landesärztekammern war die Rahmenvereinbarung bis zum Ärztetag nicht bekannt. Das war ein unerhörter, gänzlich undemokratischer Vorgang – zu verantworten von Herrn Montgomery. Das Problem ist, dass sich dasselbe in Freiburg zu wiederholen droht. Erneut wird den Delegierten auch von Herrn Reinhard kein fertiger Entwurf der GOÄneu vorgelegt werden. Niemand soll erkennen, dass die Hamburger Beschlüsse gar nicht umgesetzt werden. Aber: Wenn das so kommt, wird es wohl erneut einen Abwahlantrag gegen Herrn Montgomery geben.

Verhandlungsführer Dr. Klaus Reinhard will sich ja am 1. März in der Kammer in Berlin den Fragen der Ärzte zum Thema GOÄ stellen. Der Kammervize dort, Dr. Elmar Wille, zieht im aktuellen Ärzteblatt der Hauptstadt ordentlich vom Leder: Schon das Zustandekommen der Rahmenvereinbarung zur GOÄ im Jahr 2013 sei eine Katastrophe gewesen. Wie bewerten Sie diese Vorgänge?

Der gesamte Prozess der GOÄ-Novellierung ist eine lange Chronik des Versagens auf Seiten der Bundesärztekammer – wobei viele Ärzte ja mit einer schlichten Punktwertanhebung zum zumindest teilweisen Ausgleich der Inflationsverluste zunächst zufrieden gewesen wären.

Dass die deutsche Ärzteschaft jetzt aber obendrein erfahren muss, dass Herr Montgomery die Rahmenvereinbarung zur GOÄneu am 8. November 2013 zusammen mit Herrn Laue vom PKV-Verband ohne Einbeziehung und ohne Kenntnis des BÄK-Vorstands unterschrieben hat, setzt dem Ganzen die Krone auf. Schließlich enthält die Rahmenvereinbarung die unsäglichen Regelungen wie Einfachsatz, Gemeinsame Kommission, Vermeidung „unerwünschter Honorarentwicklungen“. Das hat Herr Montgomery also auf eigene Faust „verbrochen“, ohne jedwede demokratische Legitimation durch die Landesärztekammern, deren Spitzen den BÄK-Vorstand ja maßgeblich konstituieren. Es ist erschreckend, dass es offenbar kein System der „checks and balances“ im Kammersystem gibt, dass solch autokratischem Handeln Einhalt gebietet. Naheliegenderweise sind ja die LÄK-Präsidenten hier für Kontrolle verantwortlich, aber die haben leider versagt. Also gab es Protest von unten.

Sie sind auch Delegierter der Ärztekammer in Nordrhein. Wird das Thema GOÄ in den Landesärztekammern derzeit noch thematisiert? Wie weit werden die Länder in das Projekt GOÄ-Reform eingebunden?

„Über allen Gipfeln ist Ruh‘ …“, hätte Goethe dazu wohl gesagt. In den Kammern wird die GOÄ derzeit kaum diskutiert, außer offensichtlich in Berlin. Obwohl das eine der vornehmsten und wichtigsten Aufgaben wäre, überall. Denn schließlich ist die Gebührenordnung eines der drei konstitutiven Elemente des freien Berufes Arzt. Nach Herrn Montgomerys Alleingang bei der Rahmenvereinbarung, dem Scheitern seines unsäglichen GOÄneu-Entwurfs im BÄK-Vorstand und dem Abwahlantrag gegen ihn in Hamburg 2016 sollten doch inzwischen alle Kammerchefs wissen, dass man die Kammergremien und -organe endlich einbeziehen muss. Zeitgemäß wäre es, die gesamte Ärzteschaft über einen transparent diskutierten GOÄneu-Entwurf in einer Urabstimmung entscheiden zu lassen, ähnlich wie in der Schweiz. Aber das ist von Funktionären, die zahlreich in gut dotierten Gremien der privaten Krankenversicherungen sitzen, wohl zu viel verlangt.

Wille kritisiert, dass mit der geplanten Gemeinsame Kommission eine gewisse Entmachtung der Kammern einhergeht – schließlich war es bislang ihre Aufgabe, gutachtliche Stellungnahmen gegenüber Gerichten zur GOÄ abzugeben. Teilen Sie diese Kritik?

Ja, das teile ich. Vor allem aber werden die Ärzte selbst in ihrer freien Berufsausübung entmachtet, denn sie können bislang absolut rechtskonform Analogziffern definieren, um den medizinischen Fortschritt abzubilden, und den Faktor von 1,0- bis 3,5-fach steigern, um ein sachgemäßes Honorar für den patientenindividuellen Aufwand zu erlangen. So, wie es bei allen anderen freien Berufen ist. Und zweitens wird die Ärzteschaft bei der Gestaltung der GOÄ insgesamt geschwächt, weil die BÄK ihr Entscheidungsprimat im bisherigen zentralen Konsultationsausschuss preisgeben und Versicherungskonzerne und Beihilfe gleichberechtigt reinnehmen will. Nochmal: Würden Rechtsanwälte etwa Rechtsschutzversicherer an der Gestaltung ihrer Gebührenordnung beteiligen?

Was raten sie Ärzten und Verbänden im Moment – wie sollten Sie die Entwicklung der neuen Gebührenordnung begleiten?

Ärzte und Verbände dürfen sich nicht vom Thema „Legendierungen“ ablenken lassen. Abgesehen davon, dass noch niemand konkrete Honorare für definierte Leistungen nach der GOÄneu kennt, was für eine „betriebswirtschaftliche“ Kalkulation in einem angeblich fortgeschrittenen Stadium der Verhandlungen ohnehin eine Farce ist, bleiben die Themen Einfachsatz, Geko und Leistungsmengensteuerung im Fokus. Wir erinnern uns, wie explizit im „blauen Band“ Mechanismen zu Mengensteuerung und Bewertungsänderung beschrieben sind, für den Fall, dass es den Versicherungen oder der Beihilfe zu teuer wird. Die Ärzteschaft ist zur Wachsamkeit aufgerufen, und die Umsetzung der Beschlüsse von Hamburg muss das Ziel sein. Wir werden vor dem Freiburger Ärztetag weiter informieren.

Quelle: Ärztenachrichtendienst änd vom 12.02.2017, Interview: Jan Scholz