Ärzte werden zur „sozialrechtlich legalisierten Korruption“ erpresst

Die Freie Ärzteschaft stellt die GOÄ-Novelle unter „strenge Beobachtung“. Sie sieht die Kollegen in einer „Zwickmühle zwischen Regressgefahr und sozialrechtlich legalisierter Korruption“. Sozialverträgliche Kostenerstattung sei der Ausweg. Auf ihrer diesjährigen Hauptversammlung in Düsseldorf ging der Vorstand der Freien Ärzteschaft gewohnt hart ins Gericht mit Politik, Krankenkassen, Bundesärztekammer und Kassenärztlichen Vereinigungen.

„Sozialverträgliche Kostenerstattung Ausweg“

„Die Gröhe-Lauterbach‘sche Gesetzgebung“ ziele auf eine von Staat und Kassen dirigierte Versorgung, die durch angestellte Ärzte unter staatlicher Beaufsichtigung und im Interesse ökonomisch orientierter Klinikkonzerne umgesetzt werden solle, skizzierte FÄ-Vorsitzender Wieland Dietrich die aktuelle Lage. Die industrielle Verwertung von Big Data soll den Kassen, staatsnahen Institutionen und kommerziellen Playern „Macht und Profit“ bringen.

Selbständige Ärzte in freier Praxis seien auf der Einnahmeseite planwirtschaftlich dirigiert, unterliegen aber auf der Ausgabenseite der Marktwirtschaft. Von Kassen und „selbsternannten Verbraucherschützern“ würden die Kollegen diffamiert, wenn sie notwendige Wahlleistungen anbieten würden. Dennoch sei das Angebot von Wahlleistungen in vielen Praxen „zur Routine“ geworden.

Als Mittel gegen diese Übel propagiert Dietrich den Systemwechsel zu einer „sozialverträglichen Kostenerstattung“. Die Kostenerstattung schaffe Transparenz, ermögliche die Selbstregulierung ärztlicher Inanspruchnahme, und sie biete die „Chance zur Überwindung der Budgets“.

Von der Bundesärztekammer sei in der weiteren Debatte um die GOÄ-Novellierung nicht viel zu erwarten, zumal Dr. Klaus Reinhardt, der Verhandlungsführer der BÄK, so weitermachen wolle, wie bisher. „Die Herren Montgomery und Reinhardt sind unter strengste Beobachtung zu stellen.“ Dietrich versprach, dass die Freie Ärzteschaft „gut aufpassen werde“.

Gefahr der EBMisierung der GOÄ dauert an

Nach Auffassung von Rechtsanwalt Michael Lennartz, Justiziar der FÄ, ist das auch dringend notwendig. Er sieht die Gefahr einer EBMisierung der GOÄ längst nicht gebannt. Im Gegenteil: Durch die Gemeinsame Kommission (GeKo) werde der bisher nur mittelbare Einfluss der Kostenträger „unmittelbar“. In der GeKo sieht Lennartz eine „Parallelstruktur zum Gemeinsamen Bundesauschuss und Bewertungsausschuss“.

„Vertragsfreiheit adè“ fasste Lennartz seine Würdigung des Paragraphenteils der neuen GOÄ zusammen. Legendierung und Bewertung der einzelnen Leistungen seien nicht zu beurteilen, da sie nach wie vor geheim seien.

„Approbation wird entwertet“

Für die fortschreitende Einschränkung der Freiberuflichkeit führte Lennartz unter anderem an: Ärzte sollten zukünftig nur Leistungen abrechnen können, wenn sie auf Grund der Weiterbildung dazu berechtigt seien. „Das ist eine Abwertung der Approbation“, stellte der Rechtsanwalt fest.

Die Liquidation von mehr als dem „robusten Einfachsatz“ werde erschwert und bürokratisch belastet. In einem Vertrag mit dem Patienten solle nicht nur der höhere Satz vereinbart, sondern auch schriftlich begründet werden. Verdoppelt werden könne der Satz nur, wenn die Positivliste der GeKo das gestatte oder wenn ein Antrag im Einzelfall gestellt werde.

„Zum freien Beruf gehört nicht nur das Risiko einen Verlust zu erleiden, sondern auch die Freiheit, Gewinn zu machen“, meinte der Justiziar. Der BÄK-Präsident handele aber immer noch aus der Sicht des Krankenhausarztes. Montgomerys Vergleich der GOÄ-Verhandlungen mit „Tarifverhandlungen“ belege dies.

Kritik an Betreuungsstrukturverträgen

Eine andere Einschränkung der Freiberuflichkeit und vor allem der Therapiefreiheit sieht Dr. Silke Lüder, stellvertretende FÄ-Vorsitzende, durch die um sich greifenden Betreuungsstrukturverträge. In den mit Geld-Versprechen geköderten Verpflichtungen, Patienten nur noch bestimmte Präparate zu verordnen, sieht die Hamburger Hausärztin eine Art von „sozialgesetzlich legitimierter Korruption“.

Im Übrigen würden die Regresse zum 1. Januar 2017 nicht abgeschafft, sondern nur regionalisiert. Damit sei kein einheitlicher Widerstand mehr möglich, befürchtet Lüder.

Legalisierte Form der Korruption

Während das neue Antikorruptionsgesetz ärztliche Kooperationsformen unter Verdacht stelle, sei die Einflussnahme über Betreuungsstrukturverträge „sozialrechtlich legalisiert“. Eintrittspforte sei die Musterberufsordnung der BÄK. „Eine Beeinflussung ist dann nicht berufswidrig, wenn sie einer wirtschaftlichen Behandlungs- oder Verordnungsweise auf sozialrechtlicher Grundlage dient und dem Arzt die Möglichkeit erhalten bleibt, eine andere als die mit finanziellen Anreizen verbundene Entscheidung zu treffen“, zitierte Lüder.

Doch die „Erpressung“ gehe weiter. Auch eine kassengenehme Kodierung werde durchgesetzt nach dem Motto „Diagnosen nachbessern, sonst Regress“ – mit Gewinn für die Kasse. Ein Beispiel: Diabetes n.n.b. bringe der Kasse aus dem Risikostrukturausgleich 632 Euro im Jahr, Diabetes mit Nierenkomplikationen 2.470 Euro.

Lüder befürchtet, dass die 2012 nur ausgesetzten Allgemeinen Kodierrichtlinien (AKR) wieder in Kraft gesetzt würden, um den Kassen das lästige Up-Coding zu ersparen. „Damit verschaffen sich die Kassen eine betriebliche Steuerung der Arztentscheidungen“, klagte Lüder.

Nicht das Fehlverhalten der Kollegenschaft sei verantwortlich zu machen für diese sozialrechtlich legalisierte Korruption, unterstrich die Hausärztin. Es seien vielmehr strukturelle Entscheidungen der Politik, die zu diesen Systemfehlern geführt hätten. „Und nur die Politik kann dies ändern“.

Bei ihrer anschließenden Mitgliedsversammlung hat die FÄ ihren Vorstand für die nächsten zwei Jahre gewählt. Neben dem Bundesvorsitzenden Wieland Dietrich und seinen beiden Stellvertretern Dr. Silke Lüder und Dr. Axel Brunngraber sind Dr. Christian Scholber als Schatzmeister und Dr. Heinz-Jürgen Hübner als Schriftführer mit großer Mehrheit in ihren Ämtern bestätigt worden.

Quelle: Ärztenachrichtendienst vom 13.11.2016