FÄ-Chef Dietrich zur GOÄ: „Die Ärztetagsbeschlüsse sind 1:1 umzusetzen“
Im stillen Kämmerlein arbeitet die Bundesärztekammer (BÄK) weiter an einer neuen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ). Die bislang an die Öffentlichkeit gedrungenen Informationen sorgten für unterschiedlichste Meinungen. Der Ärztenachrichtendienst änd sprach über dieses Thema mit einem Kritiker des BÄK-Kurses: dem Vorsitzenden der Freien Ärzteschaft, Wieland Dietrich.
Herr Dietrich, die Arbeiten an der neuen GOÄ schreiten offenbar voran: Inzwischen müssten alle von der Bundesärztekammer eingeladenen Fachverbände oder Gesellschaften Einblick in ihr Fachkapitel gehabt haben. Ist das Ihrer Meinung nach nicht ein positiver Schritt nach vorn?
Dazu ein klares Nein. Die Gespräche werden seitens der BÄK weiter unter der Prämisse geführt, dass der vom Hamburger Ärztetag in vielen Punkten abgelehnte neue Paragrafenteil unverändert durchgetankt werden soll. Damit läuft jede seriöse Euro-Bewertung von GOÄ-Ziffern ins Leere, denn die gemeinsame Kommission, im Paragrafenteil statuiert, wird ja bereits mit Kompetenzen zur Mengenbegrenzung und Leistungsabwertung als reaktive Gegenmaßnahmen bei Überschreiten des „Budget-Zuwachskorridors“ von maximal 5,8 % plus minus 0,6 % ausgestattet. Das verstößt gegen die Hamburger Beschlüsse, dass kein Budget vorgegeben wird, und dass die GOÄneu nicht in ein Honorarsteuerungssystem umgeformt werden darf. Außerdem, und das ist sofort ersichtlich, widerspricht das kategorisch der ebenfalls beschlossenen Forderung nach betriebswirtschaftlicher Kalkulation jeder Leistung.
Der derzeitige Vorsitzende des GOÄ-Ausschusses in der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, hat kürzlich im Ärzteblatt betont, dass es in Sachen Paragrafenteil „keine Beschlusslage zur Ablehnung einzelner dezidierter Elemente“ gebe. Das ist doch nicht völlig falsch …
Doch, das ist falsch. Herr Reinhardt hat offenbar den Bezug zur Beschlusslage verloren. Abgelehnt wurden, und dies wird beispielswise auch im Rheinischen Ärzteblatt 7/2016 expressis verbis in Bezug auf den Paragrafenteil formuliert: a) Die Kommission – GeKo – darf nur Empfehlungen abgeben, ohne rechtsverbindlichen Charakter, b) die Berechtigung zur Liquidation nach GOÄ ist allein durch die Approbation gegeben und schließt Weiterbildungsvorbedingungen aus, c) Streichung der Zuständigkeit der GeKo für Aufklärungs- und Dokumentationspflichten, d) Ausschluss jedweden Budgets, und das bereits für die Monitoringphase von drei Jahren.
Reinhardt weist die Kritik zurück, BÄK und PKV würden Regelungen zur neuen GOÄ ohne Beteiligung der Ärztebasis treffen – das seien Märchen. Werten Sie das als direkte Kritik an der Freien Ärzteschaft?
Wenn Berufsverbände über elementare und grundsätzliche Verschlechterungen und strukturelle Risiken, die Paragrafenteil und Kommission beinhalten, im Unklaren gelassen werden, und dies auch nicht diskutiert wird, so wird an diesem entscheidenden Punkt die Ärztebasis in der Tat einmal mehr nicht beteiligt! Etliche Verbände haben bei den Anhörungen ja auch kritisiert, dass nicht über den Paragrafenteil gesprochen wird. Sich über Luftnummern zu unterhalten, wenn das Fundament nicht stimmt, kann man auch als Ablenkungsmanöver bezeichnen.
Sie sagen richtig: Das ist Kritik an der Freien Ärzteschaft – aber eine unsachgemäße. Herr Reinhardt weiß, dass wir ihn in Sachen GOÄ zusammen mit anderen genau beobachten, und das stört ihn. Das haben ihm übrigens zahlreiche Verbandsvertreter bereits bei der GOÄ-Vorbesprechung am Vorabend des Hamburger Ärztetages prognostiziert, und das ist leider auch dringend nötig. Denn man kann Herrn Reinhardt bereits deshalb kaum vertrauen, weil er sich noch am 16. März, exakt zwei Tage vor dem Stopp der GOÄ-Verhandlungen auf der BÄK-Sitzung vom 18. März, ausweislich des offiziellen Protokolls der Kammerversammlung Westfalen-Lippe zu TOP 1a – GOÄ – enttäuscht äußert über „die aus seiner Sicht unbegründete und unsachliche Kritik aus den Reihen der Ärzteschaft“.
Das muss man sich einmal vor Augen führen: Der BÄK-Vorstand verwirft in der Sitzung vom 18. März mit Verve den von Herrn Montgomery höchstpersönlich vorgelegten GOÄ-Entwurf als völlig ungeeignet, nachdem einige dort – manche scheinbar erstmalig – endlich genauer hingeschaut haben. Und Herr Reinhardt, von Herr Montgomery als neuer Verhandlungsführer präsentiert, vertritt noch zwei Tage vorher nach demselben Protokoll das später verworfene Machwerk als „in der nächsten Sitzung des Bundesärztekammervorstandes … mit einer eindeutigen Entscheidung zu verteidigen …“.
Inzwischen sind ja einige Details aus dem „Blauen Buch“ bekannt – einer im März wieder vom BÄK-Vorstand verworfenen Vorversion der künftigen GOÄ. So ist nun immerhin bekannt, wie die Positivliste einmal geplant war. Würde sie genau so umgesetzt: Was wären die Auswirkungen?
Dem Ärztenachrichtendienst ist für diese Publikation zu danken. Damit bekommen wir Ärzte endlich Transparenz, wie die PKV sich die GOÄ so vorstellt: Mit im Vergleich zum Status quo deutlich schlechteren Möglichkeiten, gute Patientenbehandlung als Arzt adäquat abzurechnen. Diese Positivliste bedeutet, dass über 90 Prozent der Ärzte eine Einheitsgebührenordnung bekämen, mit der Folge einer Einheitsmedizin für unsere Patienten. Es gibt dort ja nur wenige Steigerungsgründe, und dies auch nur bei Operationen. Das dürfte auch kartellrechtliche Probleme aufwerfen.
Wir als Freie Ärzteschaft haben immer die Auffassung vertreten, dass Flexibilität in der Gebührenhöhe ein tragendes Element der Gebührenordnung des freien Berufes Arzt ist. Nur die Variabilität der Honorarhöhe erlaubt es, spezielle Schwierigkeiten bei der Behandlung abzubilden, spezielle Patientenwünsche zu erfüllen oder auch im Falle sozialer Benachteiligung Nachlässe zu gewähren. Vor allem aber: dem Patienten unter Berücksichtung aller Umstände seines Einzelfalls die individuell bestmögliche Behandlung anbieten zu können. Das geht übrigens konform mit der Sicht des Bundesgerichtshofs, der das in Urteilen für wichtig hält. Und übrigens: Die Kliniken fordern inzwischen vergleichbar eine Individualisierung der starren DRGs.
Sie haben sich sicher auch die inzwischen veröffentlichten Beratungsziffern aus dem „Blauen Buch“ angeschaut. Ihr Kommentar?
Herr Windhorst hat über Jahre gesagt, es bräuchte mindestens ein zweistelliges Plus in der GOÄ. Und es hieß durchgängig, besonders die sprechende Medizin solle relativ aufgewertet werden. Und jetzt? Nichts davon. Der Arzt soll auf etwa 80 Euro Honorar pro Stunde in der „sprechenden Medizin“ gedeckelt werden – und das bei den hohen laufenden Kosten einer Arztpraxis oder anderer ärztlicher Einrichtungen. Im Vergleich zu Anwälten, EDV-Technikern, aber auch Ausbildungsberuflern, die Dienstleistungen für ärztliche Einrichtungen in Klinik und Praxis erbringen, ist das völlig inakzeptabel. Hier muss nicht nur nachverhandelt werden – hier müssten die Herren Montgomery und Reinhardt dem PKV-Verband einmal die rote Karte zeigen, und Herrn Gröhe gleich mit dazu. Aber Herr Montgomery hat ja lange mitgeteilt, dass es in Sachen GOÄ keine Proteste und keinen Streik gäbe: Er ist ja bereits als Bettvorleger gestartet – natürlich im metaphorischen Sinne.
Minister Gröhe scheint beim Thema GOÄ inzwischen nur noch wenig Energie aufbringen zu wollen. Besteht Ihrer Meinung nach überhaupt noch eine Chance auf eine neue GOÄ?
In dieser Legislatur kaum. Und bei dem, was hier bisher vorliegt, können wir Ärzte nur froh darüber sein! Eines ist doch klar: Wir Ärzte brauchen nur dann eine neue GOÄ, wenn sie in Bezug auf das Fundament, die Bewertungen und die Legendierungen unzweifelhaft besser ist als die alte. Davon sind wir meilenweit entfernt.
Und Herr Reinhardt irrt einmal mehr, wenn er im Ärzteblatt meint, die alte GOÄ sei „hinsichtlich der Einzelbewertungen völlig ausgereizt“. Das Gegenteil ist richtig: Es gibt bei der Steigerung über den 2,3fachen BGH-Regelsatz vielfach noch deutlich Luft nach oben. Und es gibt Abdingungen – auch die soll die GeKo wegregulieren. Und der Rechtsweg zur Durchsetzung höherer genereller Faktoren wegen Untätigkeit des Verordnungsgebers ist auch noch nicht beschritten. Doch zum Letzten gibt es Hinweise, dass Kollegen das in nächster Zeit tun werden – während sich die Herren Montgomery und Reinhardt auch da wegducken.
Was würden Sie der Bundesärztekammer nun raten?
Herr Montgomery und Herr Reinhardt sind in der Pflicht: Wenn keine eindeutig bessere neue GOÄ kommt, dann gar keine neue. Die Ärztetagsbeschlüsse von Hamburg sind 1:1 umzusetzen, und zwar bereits im Prozess auf Ärzteseite, sprich mit den Verbänden. Dem Ärztetag in Freiburg ist dann ein arztseitiges Konzept vorzulegen, dass der Beschlusslage entspricht. Wenn Herr Reinhardt meint, das sei schwierig mit der PKV zu vereinbaren, dann hat er sicher Recht. Aber diese Frage stellt sich erst später, nachdem der Freiburger Ärztetag gesagt hat, was er will. Denn das meint der Beschluss von Hamburg, dass die BÄK einen „eigenen Entwurf einer GOÄneu“ erarbeiten soll – einen Entwurf ohne Präjudiz mit der PKV.
Nicht zu vergessen: Die Interessenkonflikte vieler Mitglieder des BÄK-Vorstands sind noch nicht beseitigt – siehe Allianz-PKV-Beirat. Wenn im Zweifelsfall PKV-Mandate wichtiger sind als die Interessen von Ärzten und Patienten, dann sollten die Betreffenden zur PKV wechseln, so wie es Herr Steinbrück jetzt hin zu einer Bank macht. Aber erst nach Rückgabe ihrer Kammermandate, und nicht in Personalunion – wegen des Interessenkonflikts.
Quelle: Ärztenachrichtendienst 06.10.2016, Interview: Jan Scholz