Die Sachleistung hat ausgedient
In Deutschland regiert die Sachleistung das Gesundheitssystem. Die Folge ist eine ungezügelte Inanspuchnahme medizinischer Leistungen. Die einzige Lösung dieses Problems jenseits von planwirtschaftlicher Gängelung der Patienten und weiterem Verschleißen ärztlicher Kunst ist die Kostenerstattung. Ein Blick über den Zaun zeigt, dass es bei den Nachbarn funktioniert.
In hochzivilisierten Ländern wie der Schweiz, in Frankreich und Luxemburg ist Kostenerstattung der selbstverständliche Standard des patient empowerment. Die Versicherten nehmen erwachsen und mit dem Selbstbewusstsein des Zahlenden am Gesundheitswesen teil. Sie erhalten mit der Rechnung Kostentransparenz und tragen Kostenverantwortung durch einen zumutbaren Eigenanteil. Sie selbst sind dafür zuständig, die Rechnung zu bezahlen und sie bei ihrer Versicherung einzureichen. Keine Mutter, kein Büttel, kein Zentralkomitee räumt hinter ihnen her! Sie setzen ihr persönliches Interesse an einer Begrenzung der Inanspruchnahme jenseits aller Planwirtschaft um.
Mitwirkung unmöglich
Anders hingegen beim „Schulmeister Deutschland“: Die einheitlich verordneten Beitragsprozente zur gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) verschwinden im schwarzen Loch des Gesundheitsfonds. Bei uns werden sogenannte Sachleistungen knausernd und von oben herab gewährt. Die „Ihr Arzt darf Ihnen alles …“-Lüge ist hier grauer Alltag.
Sachleistung bedeutet, dass dem Bürger monatlich ein steuerähnlicher Betrag von Gehalt oder Lohn abgezogen wird, über dessen Verbleib und Verwendung er nichts erfährt. Eine sparsame Mitwirkung der Versicherten an Verbrauch und Verteilung ist unmöglich. Dafür erhält der Versicherte vom Staat das Recht, mit den anderen Versicherten in einem ungeregelten Wettkampf des Stärkeren gegen den Schwächeren an der Verteilung von ärztlichen Dienstleistungen, Medikamenten und sonstigen Gesundheitsdiensten in einem Flatrate-Angebot teilzunehmen.
Sachleistung macht so aus ärztlicher Kunst einen Konsumartikel, aus der Arzt-Patient-Beziehung eine wertlose, beliebig abgreifbare Dienstleistung im Flatrate-System des fünften Sozialgesetzbuchs. Sachleistung macht die Patienten zu Kunden, sie macht aus Krankheit und Sterben ein Geschäft. Sachleistung ist die zentrale Ursache für die aktuelle, schier grenzenlose Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen.
Gestaffelte Tarife erlauben Selbstgestaltung
Die Schweiz ist zweifellos ein funktionierendes Gemeinwesen von mündigen Bürgern. Statt obrigkeitlicher Patronage mittels Sachleistung wie in Deutschland erfährt der Eidgenosse den Preis zu jeder Leistung. Ihm sind so die Folgen seiner Inanspruchnahme genauso transparent, wie ihm durch unkomplizierte Kostenerstattung ein verantwortlicher Umgang mit den wertvollen Ressourcen ein eigenes Anliegen wird. Gestaffelte Tarife erlauben jedem die Selbstgestaltung einer individuellen Absicherung – ganz ohne, dass in der Schweiz „die Armen eher sterben“!
Die Bürger der Schweiz sind erkennbar und willentlich in die kompetente Gestaltung ihrer existenziellen Belange eingebunden. Der deutsche Bürger hingegen, dank Sachleistung vollkommen im Dunkeln tappend, geigt frustriert seine ambulante Doktor-Flatrate runter. Olympiaverdächtige Arztbesuchszahlen, Jammern über den von ihm selbst verstopften Zugang zum Facharzttermin – die durch Krankheit Geschwächten und ältere Bürger haben hier das Nachsehen.
In Deutschland wird ärztliches Können als wertfreier Massenartikel auf dem Grabbeltisch eines intransparenten Flatrate-Schwindels verramscht. Dem Arzt wird systematisch eine Grauzone mutmaßlicher betrügerischer Fehlabrechnung zugewiesen. Der Patient, der Kranke irrt – vom Staat verblindet – durch ein unüberschaubares Labyrinth. Die Ärzteschaft wird so zum dauerelastischen Fugenkit einer maroden Zwangskonstruktion ohne Zukunft gemacht.
Eine Frage der Zeit
Die einzige ernsthaft in Frage kommende Lösung der wachsenden „Inanspruchnahme-Problematik“ jenseits von planwirtschaftlicher Gängelung der Kranken und weiterem Verschleißen ärztlicher Kunst ist die Kostenerstattung. Sie funktioniert in Deutschland bei den Selbstzahlern, auch bei hundertjährigen.
Der Status quo im deutschen Sachleistungslabyrinth: Mangels Transparenz dominiert unsolidarisches Abgreifen von Sachleistungen ohne ersichtlichen Wert. Das sogenannte Solidarsystem der GKV ist durch seine zentralen Konstruktionsfehler ein Hohn auf Solidarität, Subsidiarität und Gemeinsinn. Das haben keinesfalls wir Ärzte zu verantworten. Der Ball liegt seit langem im Feld der regierenden Systemveränderer.
Aus Sicht der Freien Ärzteschaft führt kein Weg an der Kostenerstattung vorbei. Wiederwahl rangiert bei der Politik allerdings meist höher als verantwortliches Staatsagieren. Man lügt sich eben so durch. Es ist nur eine Frage der Zeit, wie lange eine derartige „Insolvenzverschleppung“ durch die Politik noch durchzuhalten sein wird.
Dr. Axel Brunngraber, Stellvertretender Vorsitzender der Freien Ärzteschaft