Ärzteschaft fordert Aussetzen der Telematikinfrastruktur – FÄ-Chef Dietrich: „Einführung war dilettantisch und ist gefährlich“

Der Deutsche Ärztetag kritisiert scharf die Einführung der Telematikinfrastruktur (TI). Mit massivem Druck werde etwas ins Gesundheitswesen gepresst, das weder praktisch funtioniere noch sicher sei oder die Gesundheitsversorgung in Deutschland verbessere, monierten zahlreiche Ärztinnen und Ärzte am gestrigen ersten Sitzungstag des Deutschen Ärztetages. Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ) und Delegierter, betont: „Praktikabilität, Sicherheit und Nutzen sind einfach nicht gegeben. Die Einführung der TI in ihrer aktuellen Ausgestaltung ist nicht nur dilettantisch, sondern auch gefährlich.“ Mit Nachdruck fordere die Ärzteschaft daher ein Moratorium, sagte Dietrich am Dienstag in Berlin.

Bereits am Montag hatte der Präsident der Bundesärztekammer, Dr. Klaus Reinhardt, die künftige Bundesregierung aufgefordert, ein Moratorium für die TI zu verhängen. Aus der Ärzteschaft hagelte es Berichte über massive technische Probleme mit der TI in den Arztpraxen, die den Workflow behinderten und das Personal stark belasteten. Die Freie Ärzteschaft warnt seit Jahren genau vor solchen Entwicklungen, besonders im Hinblick auf Sicherheitsrisiken und unausgereifte Anwendungen wie elektronische Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, elektronisches Rezept und elektronische Patientenakte. „In einem schlecht gemachten System telematischer Vernetzung sind wir nicht mehr Herr der Lage – auch Kliniken und Praxen werden gehackt“, erläutert der FÄ-Chef. „Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik warnt ausdrücklich auch im Gesundheitswesen vor Hacking, Erpressung und Datenmissbrauch.“

Die Ärzteschaft kritisiert besonders die mangelnden Tests der TI und ihrer Anwendungen. Sie seien überhaupt nicht marktreif, Arztpraxen, Kliniken und Patienten müssten nun als Versuchskaninchen bei der Einführung der TI herhalten. „Das ist unverantwortlich, denn es behindert und beschädigt die medizinische Versorgung“, betont Dietrich. „Die künftige Bundesregierung muss die Schraube, die der scheidende Bundesgesundheitsminister Jens Spahn weit überdreht hat, wieder zurückdrehen und die telematischen Anwendungen erst einmal sorgfältig überprüfen und testen.“ Die Ärztinnen und Ärzte fordern zudem, dabei ärztlichen Sachverstand und die tatsächlichen Erfordernisse der Basis einzubeziehen. Der FÄ-Chef macht deutlich: „Wir sind diejenigen, die in Klinik und Praxis damit arbeiten sollen. Wer könnte besser wissen als wir, was für funktionierende Arbeitsabläufe erforderlich ist – dabei sind auch die ganz verschiedenen Bedarfe in den Einrichtungen des Gesundheitswesens zu berücksichtigen.“ Darüber hinaus hätten Ärzte eine Schweigepflicht und für die höchste Sicherheit der Patientendaten sei Sorge zu tragen.