Shutdown der Telematikinfrastruktur mitten in der Corona-Krise

Seit 27. Mai 2020 ist die „Datenautobahn“ im Gesundheitswesen massiv gestört. Laut gematik liegt ein „Konfigurationsfehler in der zentralen Telematikinfrastruktur“ vor, den die gematik offenbar nicht beheben kann. Stattdessen werden die Praxen aufgefordert, das selbst zu machen, gegebenenfalls mit Unterstützung von Dienstleistern vor Ort. „Das Ganze erinnert an einen kranken Schildbürgerstreich“, sagte Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ) am Dienstag in Hamburg. „Mitten in der Corona-Krise wird die Versorgungssicherheit der ambulanten Medizin in Deutschland aufs Spiel gesetzt.“

Rund 80.000 Praxen von Ärzten, Zahnärzten und Psychotherapeuten können derzeit kein Versichertenstammdatenmanagement (VSDM) durchführen. Doch nicht nur das: Das Sicherheitsproblem kann auch das Einlesen der Versichertenkarten behindern und damit die Behandlung der Patienten sowie die Abrechnung. Lüder betont: „Außerdem sind die Ärzte nicht dafür verantwortlich oder zuständig, Störungen in der zentralen Telematikinfrastruktur (TI) zu beheben. Es ist gesetzlich fixiert (§ 291 SGBV), dass die inzwischen verstaatlichte gematik für die Schaffung ‚einer interoperablen, kompatiblen und sicheren Telematikinfrastruktur‘ verantwortlich ist.“

Diese existiere aber augenblicklich nicht. Nun würden Ärzte, Zahnärzte und Psychotherapeuten wegen der nichterfolgten Aktualisierung eines Sicherheitszertifikates tatsächlich aufgefordert, eine auf der gematik-Website offen verfügbare Liste aller vertrauenswürdigen Zertifikatsherausgeber (TSL) auf den Konnektor aufzuspielen. „Das grenzt an Nötigung“, so die FÄ-Vize. „Wir haben Medizin gelernt, nicht Informatik. Und natürlich wird uns anschließend, falls bei diesem absurden Vorgang Fehler unterlaufen, die datenschutzrechtliche Verantwortlichkeit wieder zugeschoben werden.“

Als Gipfel des Zynismus betrachten die Ärzte aber die Stellungnahme des Bundesgesundheitsministeriums und der gematik: Es sei klar, dass die Praxen „keine Sanktionen fürchten müssen“, wenn sie im Moment kein VSDM für die Krankenkassen durchführen könnten. „Das ist schön, dass wir nicht für die Sicherheitsfehler der Gematik bestraft werden sollen“, sagt Lüder. „Uns geht es aber mehr darum, dass die ambulante Medizin in Deutschland nicht weiter durch eine anscheinend unsichere, teure und störungsanfällige, per Gesetz aufgezwungene Infrastruktur, die bisher keinem Arzt und keinem Patienten geholfen hat, sabotiert wird.“

Man müsse fragen: Was passiert mit der Medizin, wenn alle Krankheitsdaten in Zukunft über diese löchrige Autobahn laufen sollen, etwa per elektronischer Patientenakte, e-Rezept, e-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung, e-Medikationsplan und e-Notfalldatensatz? Die FÄ-Vizevorsitzende macht klar: „Hier geht es um Versorgungssicherheit. Ein sofortiges Moratorium für dieses nationale Großprojekt wäre die einzige vorstellbare und sinnvolle Lösung für ein System, das schon in der ersten Ausbaustufe zusammenbricht.“