Kongress: Verfassungsrechtler kritisiert System der ambulanten Medizin

Prof. Udo Di Fabio
Prof. Udo Di Fabio

Auf dem Kongress Freier Ärzte am Samstag in Berlin wurde harte Kritik an den immer tieferen staatlichen Eingriffen in die ambulante Medizin geübt. Der ehemalige Richter am Bundesverfassungsgericht, Professor Udo Di Fabio, sprach von einer gelenkten Marktwirtschaft im Gesundheitssystem. Der Staat habe sich immer tiefer in eine Lenkungsspirale hineinbegeben. Daraus resultiere der Hybridcharakter der Tätigkeit niedergelassener Ärzte: Einerseits seien die Honorare für ärztliche Leistungen in der ambulanten Medizin gedeckelt, andererseits seien die freiberuflichen Praxisärzte aber unternehmerisch tätig.

Das Honorarbudget erinnere ihn an eine Comedy-Show, so Di Fabio. „Entweder ich bin angestellt, oder ich bin selbständig, dann kann ich aber auch alle Leistungen abrechnen. Ein Bäcker verschenkt doch auch nicht die Hälfte seiner Brötchen.“ Die Honorierung im Bereich der Gesetzlichen Krankenversicherung sei ein „Heuchel-System“ und die Budgetierung führe zu einer Einschränkung der verfassungsmäßig gesicherten freien Berufsausübung.

„Unrentable Kliniken müssen geschlossen werden“

Auch der Vorsitzende der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, kritisierte die Bestrebungen der Politik, die Ärzte zu Angestellten der Krankenkassen zu degradieren, etwa durch die Einrichtung der Terminservicestellen. In den ersten drei Monaten seien bundesweit lediglich 20.000 Facharzttermine vermittelt worden – bei rund 1 Milliarde Patientenkontakten der Praxisärzte pro Jahr. Mit dem Krankenhausstrukturgesetz treibe die Politik zudem die Öffnung der Kliniken für die ambulante Versorgung voran. Man versuche hier marode Kliniken unter anderem mit dem Honorar der niedergelassenen Ärzte über Wasser zu halten. „Das ist nicht zu akzeptieren. Unrentable Kliniken müssen geschlossen werden – je eher, desto besser“, forderte Gassen.

Der stellvertretende Bundesvorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ), Dr. Axel Brunngraber, wies angesichts der Rationierung von medizinischen Leistungen darauf hin, dass es im Sachleistungssystem nicht möglich sei, die Situation für Patienten und Ärzte zu verbessern. Nur mit einem transparenten Modell der Kostenerstattung wie in vielen anderen europäischen Staaten könne die Abwärtsspirale gestoppt werden, sagte Brunngraber.

Budgetierung auch in der Privatmedizin

In der Privatmedizin drohten mit der Novelle der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) ebenso harte Einschnitte, sagte FÄ-Bundesvorsitzender Wieland Dietrich. Wenngleich die GOÄ-Novellierung gescheitert sei, unterstütze  die Bundesärztekammer unter ihrem Vorsitzenden Frank-Ulrich Montgomery weiter eine für Patienten höchst bedenkliche Einflussnahme  der Privaten Krankenversicherungen und der Länder auf die Gebührenordnung. „Die Freie Ärzteschaft wird den Druck auf die Bundesärztekammer aufrechterhalten“, betonte Dietrich. „Wir fordern ganz klar, dass die jetzige Bundesärzteordnung und der sogenannte Paragrafenteil der GOÄ als sinnvoller Rahmen erhalten bleiben. Nur die Leistungsbeschreibungen müssen aktualisiert werden, und natürlich muss nach 20 Jahren kurzfristig eine Anhebung  der Honorare erfolgen.“ Auch der Vorsitzende der MEDI-Verbunds Berlin, Dr. Matthias Lohaus, machte klar, dass die GOÄ Thema des nächsten Ärztetages im Mai in Hamburg sein werde. „Montgomery hat keinerlei Verantwortungsgefühl und muss zurücktreten“, forderte Lohaus.

„Große Bedrohung für die Zivilisation“

Diskutiert wurde auf dem Kongress zudem die zunehmende Datensammelwut im Gesundheitswesen. Der Berliner Medizinhistoriker Professor Paul U. Unschuld bezeichnete das Projekt elektronische Gesundheitskarte als „große Bedrohung für die Zivilisation“. Sie diene nicht dazu, das Gesundheitswesen zu verbessern, sondern allein finanziellen Interessen. Die elektronische Patientenakte bezeichnet er als einen „von der Industrie gewünschten Nacktscanner“.

„Um das Privileg des geschützten Arzt-Patienten-Kontaktes zu erhalten, müssen wir dafür sorgen, dass die Patientendaten nicht unter die Räder kommen“, betonte Dr. Silke Lüder. Die stellvertretende FÄ-Bundesvorsitzende kritisierte, dass sich Bundesärztekammer und Kassenärztliche Bundesvereinigung kritiklos an Plänen für Gesundheitsdatenberge beteiligten. Die Freie Ärzteschaft und andere Verbände prüften derzeit mit dem Rechtsanwalt und Richter am Verfassungsgericht Berlin, Meinhard Starostik, eine Verfassungsbeschwerde gegen das E-Health-Gesetz. Starostik, der aktuell auch an einer Verfassungsbeschwerde gegen die neue Vorratsdatenspeicherung arbeitet, äußerte die Vermutung, dass „allmählich ein Umdenken in der Juristerei stattfindet und sich am Ende das Bundesverfassungsgericht eventuell auch gegen die Massensammlung von Gesundheitsdaten aussprechen könnte“.


Über die Freie Ärzteschaft e.V.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

Pressekontakt: presse@freie-aerzteschaft.de

V .i. S. d. P.: Wieland Dietrich, Freie Ärzteschaft e.V., Vorsitzender, Gervinusstraße 10, 45144 Essen,
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