FÄ-Kongress in Berlin (II)

„Die Ärzteschaft muss beim Thema GOÄ gemeinsam reagieren“

Kommt die neue GOÄ noch in dieser Legislaturperiode? Die auf dem „Kongress Freier Ärzte“ am Samstag in Berlin diskutierenden Haus- und Fachärzte waren sich weitestgehend sicher: Da kann sich keine Praxis echte Hoffnungen machen – darüber hinaus steckten insbesondere im Paragraphenteil des neuen Werks auch unzählige Fallen. Wichtiger sei es da eher, über gemeinsame Punktwertanhebungen rasch die derzeit dramatische Inflationsentwicklung abzufedern.

Die Freie Ärzteschaft (FÄ) organisiert den Kongress in Berlin in jedem Jahr und hatte diesmal unter anderem die Gebührenordnung zum Thema gemacht. Auch mit Blick auf den Kalender: Kommt die neue GOÄ zum Jahresende nicht, sollen die Kammern ihre Mitglieder bundesweit verstärkt auf die Möglichkeit der Abrechnung über höhere Steigerungsfaktoren und über die Möglichkeiten freier Honorarvereinbarungen informieren, damit ein gemeinsames Vorgehen möglich ist. So sieht es zumindest ein mit großer Mehrheit beschlossener Antrag vom vergangenen Ärztetag vor.

Honorarexperte Dr. Bernhard Kleinken machte in seinem Vortrag keinen Hehl daraus, dass er die neue, von Bundesärztekammer und PKV-Verband erarbeitete GOÄ sowieso nicht für tauglich hält. Im Paragraphenteil lauerten viele Probleme. Beispielsweise könne der neu eingeführte Einfachsatz nur noch in bestimmten Fällen auf das Doppelte gesteigert werden – und nur nach Kriterien, über welche die Gemeinsame Kommission (Geko) aus Ärzte- und PKV-Vertretern zu entscheiden habe. „Dann sind Sie nicht mehr der Chef Ihres Steigerungsfaktors, sondern die Geko“, warnte Kleinken die anwesenden Kollegen.

Er erläuterte in seinem Vortrag eingehend die Mechanismen der Steigerungsfaktoren und erlaubten Begründungen. Kleinken forderte die Niedergelassenen auch auf, die „oft ausgetretenen Wege zu verlassen und mutiger an die Sache heranzugehen.“ Wenn die Patienten verwundert fragten, warum bei einer Leistung nun der höhere Satz abgerechnet werde, könne wahrheitsgemäß auf die gestiegenen Kosten für Praxis und Personal verwiesen werden – und darauf, dass die Gebührenordnung eine Abrechnung zu diesem Preis eigentlich auch schon zu früheren Zeiten legitimiert habe.

Viel Unterstützung für die Ärzteschaft von der Bundesärztekammer erwartet der Abrechnungsexperte jedoch nicht. Sie habe bei der neuen GOÄ eine EBMisierung zugelassen und helfe auch sonst kaum, die Ärzte an das Machbare bei der aktuellen GOÄ heranzuführen. „Wann hat es einmal einen entsprechenden Info-Text im Ärzteblatt gegeben?“, fragte er.

 

Kleine Bürgerversicherung im neuen Gesetz?

Interessant auch der Vortrag von Stefan Tilgner, dem Geschäftsführer des PVS-Verbandes. Obwohl er prinzipiell die Notwendigkeit einer neuen GOÄ betonte, gab er zu bedenken, dass die Politik das Thema erst anfasse, wenn ein wie auch immer gearteter Konsens mit den privaten Krankenversicherern hergestellt werde. Die seien jedoch extrem vorsichtig, da sie stark steigenden Kosten nur über höhere Beitragssätze an die Kunden weitergeben könnten – wofür es strenge Regeln gebe. Dazu komme noch, dass die Ampelkoalition eigentlich in Richtung Bürgerversicherung unterwegs sei.

In dem Zusammenhang wies er auf einen Aspekt des gerade beschlossenen Krankenhauspflegeentlastungsgesetzes (der änd berichtete). Da habe sich erneut gezeigt, dass „der Gegner im BMG steht“, so Tilgner. Die neuen Regelungen zur tagesstationären Behandlung und sektorengleichen Vergütung liefen darauf hinaus, eine „Art neuen ambulanten Bereich zu schaffen, der am Krankenhaus angesiedelt ist – auf jeden Fall nicht im klassischen niedergelassenen Bereich.“

Das Gesetz sehe vor, dass die Leistungen „vom Versicherungsstatus unabhängig“ einheitlich vergütet werden sollen. „Das betrifft also GKV- und PKV-Versicherte“. Entscheidend sei dabei, dass der §17 im Krankenhausentgeldgesetz nicht gleichzeitig geändert wurde. Als Folge sei nun nicht mehr vorgesehen, dass neben diesen Leistungen auch wahlärztliche Leistungen erbracht und abgerechnet werden dürfen und dort die GOÄ Anwendung finden könne. „Dann darf also auch nicht privatärztlich vom Chefarzt behandelt werden.“ Das könne man als nicht so gravierend ansehen, sei aber eine „Bürgerversicherung in einem kleinem Versorgungsbereich“ – und zeige, wo die Reise hingehe. Tilgner hofft auf eine „breite Front in der Ärzteschaft gegen solche Entwicklungen“. Diese sei zumindest bitter nötig, da die Lobby der Ärzte in Berlin derzeit schlechter nicht sein könne.


Baut sich Druck in den Kammern auf?

Gastgeber Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, sprach sich für ein gemeinsames Vorgehen der Ärzteschaft aus, wenn es darum gehe, die derzeitige GOÄ gemeinschaftlich zu steigern – schließlich sei es ein Irrglaube, dass eine neue GOÄ bald komme. „Da erwarte ich auch, dass die Bundesärztekammer diesen Weg mitgeht. Dass der Druck größer wird, war schon auf dem vergangenen Ärztetag zu spüren. Kammerpräsident Reinhardt muss langsam etwas liefern.“

Wenn die Ärzte gemeinschaftlich Fakten schafften und einen Steigerungssatz von 2,8 oder 3,0 als Regelsatz einführten, könne dieser irgendwann auch an Rechtskraft und -sicherheit gewinnen. Das müsse nur selbstbewusst nach außen vertreten werden. Da bei der Kommunikation der Kammern in der Sache vorsichtig gesagt noch „Luft nach oben“ sei, müsse die Ärzteschaft der Basis weiter Druck machen. „Ich glaube nicht, dass wir in dieser Legislaturperiode noch eine neue GOÄ sehen – aber eine weiterhin extrem hohe Inflationsentwicklung. Die Ärzteschaft muss daher gemeinsam reagieren“, so Dietrich.

(Quelle: änd – Ärztlicher Nachrichtendienst, Hamburg, 4.12.22)