Videosprechstunden: „Die GKV-Forderungen dazu bedeuten Behandlungsstandards unterhalb so genannter „Barfußmedizin!“

(Essen, 01.08.2023) Erst kürzlich machte sich der Vorstandsvorsitzende der Techniker Krankenkasse Dr. Jens Baas in einer Presseerklärung erneut öffentlich stark für Videosprechstunden, die seiner Ansicht nach künftig eine feste Option bei ärztlichen Behandlungen und Beratungen darstellen sollen. Eine Forderung, die bei der Freien Ärzteschaft (FÄ) nur Kopfschütteln auslöst, da sie neben der damit verbundenen deutlich schlechteren Behandlungsqualität auch der ärztlichen Berufsordnung widerspreche, die ärztliche Fernbehandlungen nur im Einzelfall zuließe.

„Der TK-Chef, übrigens selbst ausgebildeter Mediziner, beruft sich bei seinem forcierten Ansinnen nach vermehrter Telemedizin auf von der Krankenkasse selbst erhobene Daten während der Corona-Pandemie, in der Videosprechstunden eine Alternative zu Praxiskontakten boten und die daher durchaus wahrgenommen wurden“, erläutert Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft (FÄ), die in der TK-Pressemeldung genannten erhöhten Zugriffe auf telemedizinische Beratungen und Behandlungen.

Videosprechstunden haben niedrigeres Qualitätsniveau als „Barfußmedizin“

Inzwischen sei aber wieder der Praxisalltag eingekehrt und es gebe keinen regelhaften Grund mehr, Patientinnen und Patienten aus der Ferne zu behandeln – ohne Chance auf körperliche Untersuchungen und damit auf einem Niveau unterhalb der so genannten „Barfußmedizin“, so der Essener Dermatologe. Dies gelte insbesondere für der Ärztin oder dem Arzt unbekannte Patienten.

„Der Begriff ,Barfußarzt‘ stammt ursprünglich aus der chinesischen Medizin und bezeichnet hierzulande akademisch ausgebildete Medizinerinnen und Mediziner, die ohne nennenswerte Hilfsmittel arbeiten oder arbeiten müssen – selbst auf diese Weise aber oberhalb des Niveaus von reinen Videokontakten“, erläutert der FÄ-Vorsitzende. „Denn im Gegensatz zu reinen Videosprechstunden haben Barfuß-Medizinerinnen und -mediziner direkten Kontakt zu ihren Patienten und können so körperliche Untersuchungen wie Tastbefundungen, weitergehende Inspektionen, neurologische und weitere Untersuchungen durchführen. Dies ist bei Videosprechstunden unmöglich!“

Zudem habe das patientenseitige Interesse an Videosprechstunden bereits mit Abklingen der Corona-Pandemie und zunehmendem Impfschutz in der Bevölkerung deutlich nachgelassen, wie die von der TK selbst erhobenen Zahlen bei ihren Versicherten belegten (2021: 956.000 versus 2022: 717.000). „Wirklich aussagekräftig aber wären erst die Zahlen dazu aus dem ersten Halbjahr 2023, die dann auch das Pandemie-Ende beinhalten“, so Dietrich, „ich gehe hier fest von einem weiteren und deutlichen Rückgang hinsichtlich des Interesses an Fernbehandlungen aus.“

Gegen Ärztetag-Beschluss und die bestehende Berufsordnung

Auch böten pauschale oder generelle Fernbehandlungen keine Medizin auf Basis der ärztlichen Berufsordnung, die in § 7 (4) eindeutig formuliert, dass Ärztinnen und Ärzte ihre Patientinnen und Patienten grundsätzlich im persönlichen Kontakt beraten und behandeln sollten und Behandlungen über Kommunikationsmedien nur im Einzelfall erlaubt seien – bei ärztlicher Vertretbarkeit und Einhaltung der ärztlichen Sorgfaltspflicht.

Mit seiner erneuten Forderung nach vermehrten und künftig fest integrierten Videosprechstunden konterkariere der Vorsitzende der TK zudem den Beschluss des Deutschen Ärztetags 2023, der sich im Mai dieses Jahres für die Freiwilligkeit von Videosprechstunden ausgesprochen habe, da jeglicher Zwang mit der freien ärztlichen Berufsausübung nicht vereinbar sei.

Videosprechstunden müssen freiwillig bleiben

Die vorgebliche Effizienz im Praxisalltag und in der Versorgung steht nach Meinung der Freien Ärzteschaft auf arg tönernen Füßen. „Videosprechstunden dauern erfahrungsgemäß zwei- bis dreimal so lange wie eine Behandlung/Beratung vor Ort in der Praxis, bei gleichzeitig viel unsichereren Ergebnissen – das ist durchaus ineffizient, zumal oftmals ärztliche Behandlungen im Nachgang notwendig sind!“, kritisiert der seit 30 Jahren in eigener Praxis tätige Facharzt.

In Einzelfällen könne eine Videoberatung sinnvoll sein, aber die Entscheidung dazu müsse allein den Medizinerinnen und Mediziner und auch deren Patientinnen und Patienten obliegen – ohne jeglichen Kosten- oder gar politischen Druck.

Kostensparmodell mit hohen Risiken

Nach Einschätzung der Freien Ärzteschaft werde mit der massiven Forderung nach Videosprechstunden lediglich ein Kostensparmodell gepusht, um Arzt-Patienten-Kontakte zu reduzieren und um beim zunehmenden Ärztemangel eine Scheinlösung zu präsentieren – mit reduzierter Behandlungsqualität zu Lasten der Patienten.
„Ich halte es für dreist, solch ein Modell der Öffentlichkeit schmackhaft zu machen und zudem als nutzbringend zu bezeichnen, statt sich vielmehr um eine flächendeckende gute medizinische Versorgung zu kümmern mit entsprechenden Anreizen für Ärztinnen und Ärzte“, kritisiert der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft.

Und Dietrich wird noch deutlicher in Bezug auf die Äußerungen des TK-Chefs Baas: „Dr. Jens Baas ist ausgebildeter Arzt und Kassenchef zugleich. Wenn er als Vorsitzender einer Krankenkasse spricht, halte ich es für anmaßend, Ärztinnen und Ärzten als Freiberuflern Vorschriften zur Art ihrer Berufsausübung machen zu wollen – und hinsichtlich der Versorgungsqualität für fahrlässig. Wenn er allerdings als Arzt spricht, scheint er offenbar die Berufsordnung der Ärzte nicht zu kennen, die Fernbehandlungen nur ‚im Einzelfall‘ und unter besonderen Voraussetzungen zulässt.“

 

Über die Freie Ärzteschaft e.V.
Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

V.i.S.d.P.: Wieland Dietrich, Freie Ärzteschaft e.V., Vorsitzender, Gervinusstraße 10, 45144 Essen, Tel.: 0201 68586090, E-Mail: mail@freie-aerzteschaft.de, www.freie-aerzteschaft.de

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