„Den Menschen zeigen, dass sie nicht vergessen sind“

Aus Wülfel in die Ukraine: Der Arzt Christian Scholber versorgt Kriegsflüchtlinge

Man spürt, wie ihn das zermürbt. Wie er damit hadert, dass der Krieg ihm die Hände bindet. „Das Problem ist, dass wir nicht dorthin kommen, wo wir am dringendsten gebraucht werden“, sagt Christian Scholber, „aber diese Gebiete werden bombardiert, und wir sind nun mal keine Militäreinheit.“

Seit einer Woche ist der Arzt, der mit seiner Frau seit mehr als 20 Jahren eine Praxis in Wülfel betreibt, im Hilfseinsatz. Mit einem sechsköpfigen Team aus Deutschland – dazu kommen noch Helfer aus Albanien und der Schweiz mit Rettungs- und Geländewagen – ist er im rumänischen Siret in einer Pension einquartiert, wenige Kilometer von der ukrainischen Grenze.

Durchs Schneegestöber

Von hier aus pendelt der 59-Jährige in die Ukraine. In einer Flüchtlingsunterkunft bei Czernowitz, in der vor allem Frauen, Kinder und alte Menschen untergekommen sind, behandelt er dort Geflüchtete. „Sie haben Hautkrankheiten oder Infektionen, Kriegsverletzungen waren bisher nicht darunter“, sagt der Internist. Außerdem hat sein Team Hilfsgüter dabei; Medikamente und Verbandsmaterial, die für ukrainische Einrichtungen bestimmt sind.

Am Montag vergangener Woche bekam Scholber eine Alarm-SMS der Hilfsorganisation Humedica, für die er schon oft als Freiwilliger in Auslandseinsätzen war – und am Mittwoch saß er bereits im Flugzeug nach Rumänien. Absprechen musste er sich nur mit seiner Frau, die auch ihrerseits schon in Hilfseinsätzen war und jetzt die Praxis fortführt: „Da bin ich im Vorteil gegenüber Kollegen, die im Schichtdienst im Krankenhaus arbeiten“, sagt er.

Im Schneegestöber fuhren sie vom Flughafen ins Grenzgebiet. „In den vergangenen Tagen war es hier sehr kalt“, berichtet Scholber. Seinen ersten Auslandseinsatz für Humedica hatte er, als kurz nach seiner Rückkehr von einem Sri-Lanka-Urlaub 2004 der Tsunami das Land verwüstete. „Wir sahen die Bilder und wollten selbst etwas tun“, sagt er.

„Etwas Sinnvolles tun“

Seither half Scholber nach dem verheerenden Zyklon 2006 auf den Philippinen, er schmuggelte Medikamente nach Myanmar, half im iranischen Erdbebengebiet ebenso wie in Nepal. Und er war 2015 auf der Balkanroute im Einsatz, als dort Flüchtlinge versorgt werden mussten. „Als Kassenarzt kümmert man sich sonst zu 90 Prozent um Bürokratie und zu 10 Prozent um Medizin“, sagt er, „das ist bei solchen Einsätzen genau umgekehrt. Man hat das Gefühl, etwas Sinnvolles zu tun.“

Die Kriegsvertriebenen, um die er sich jetzt kümmert, seien körperlich meist in guter Verfassung: „Es ist, als hätte man Leuten in Hannover auf der Straße einen Koffer in die Hand gedrückt“, sagt er. „Noch vor wenigen Wochen hatten sie ein ganz normales Leben.“

Die Abläufe an der Grenze seien von rumänischer Feuerwehr und vielen Freiwilligen gut organisiert. Die Geflüchteten würden herzlich aufgenommen und versorgt, sagt Scholber. Auch griechische, türkische und australische Hilfskräfte seien dort im Einsatz: „Es gibt große Camps in Turnhallen und Zeltstädte, Essen und sanitäre Verhältnisse sind gut“, berichtet er.

Für den Arzt hat dieser Einsatz nicht nur eine medizinische Dimension: „Wir können den Menschen auch das Gefühl geben, dass sie nicht vergessen sind“, sagt er: „Die Welt schaut hin.“ Wie lange sein Einsatz im Grenzgebiet dauert, weiß er noch nicht. „Wir bleiben, solange es sinnvoll ist.“

Quelle: Simon Benne – Hannoversche Allgemeine Zeitung, 16. März 2022
über unser FÄ-Vorstandsmitglied Dr. Christian Scholber vor Ort

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