Was bringt das „Versorgungsschwächungsgesetz“? – Information für Ärzte und Praxismitarbeiter

Terminservicestellen, mehr ambulante Behandlungen in Krankenhäuser und weniger Arztpraxen – so sieht es das von der Bundesregierung genannte GKV-Versorgungsstärkungsgesetz vor. „Gelingt dem Gesetzgeber die Einführung dieser Triade, ist ein ordnungspolitischer Meilenstein hin zur Staatsmedizin gelegt“ , sagt Dr. Thomas Drabinski, Leiter des Instituts für Mikrodatenanalyse (IfMDA) in Kiel. Die Freie Ärzteschaft erwartet dadurch eine Versorgungsschwächung.

Das geplante Gesetz beinhaltet vor allem drei wesentliche Punkte:

  1. Die Einführung von sogenannten Terminservicestellen, mit denen die Wartezeiten gesetzlich Versicherter verkürzt werden sollen.
  2. Die Krankenhäuser sollen weitgehend für die ambulante „Versorgung“ geöffnet werden.
  3. Bis zu 25.000 Vertragsarztsitze vor allem in den Städten sollen von den Kassenärztlichen Vereinigungen aufgekauft werden, wenn sie nach Bedarfsplanungskennzahlen (nach Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses GBA) in vermeintlich überversorgten Gebieten liegen.

Der Referentenentwurf gibt in § 75 Abs. 1a SGBV die Stoßrichtung vor: Um ihren Sicherstellungsauftrag weiterhin zu erfüllen, müssen die Kassenärztlichen Vereinigungen (KV) Terminservicestellen einrichten, die bei Vorliegen einer Überweisung zum Facharzt in einer Woche einen Termin vermitteln. Die Wartezeit auf den Termin darf vier Wochen nicht überschreiten. Die Entfernung zwischen Wohnort des Versicherten und dem Facharzt muss zumutbar sein. Kann die Servicestelle diesen Termin nicht vermitteln, hat sie einen Termin in einer Klinik anzubieten, auf Kosten des gedeckelten Budgets der fachärztlichen Praxisärzte.

Die Chronologie deutscher Gesundheitspolitik zeigt: Schon Ulla Schmidt forderte 2009 eine „Termingarantie“. Im Chor vertreten jetzt inzwischen Karl Lauterbach, Jens Spahn, Johann-Magnus von Stackelberg vom GKV-Spitzenverband und Minister Hermann Gröhe, dass die „Termingarantie“ kommen müsse, koste es was es wolle, harte Konflikte mit der Ärzteschaft müsse man eben in Kauf nehmen.

Polit-ökonomischer Zusammenhang

  • Die „Terminservicestelle“ hat weitreichende Auswirkungen, auch wenn sowohl Gesund-heitspolitik als auch einzelne KV-Führungen dies bestreiten. Der Patient verliert zunächst die Wahlfreiheit bei der Wahl seines Arztes. Die administrativen Kosten je vermitteltem Termin werden auf 1,50 bis 10 Euro taxiert. Im medizinischen Leistungsmarkt wird der quasi staatlichen Stelle (Körperschaft öffentlichen Rechts KV) indirekt ein Mitgestaltungsrecht im individuellen Praxiskalender zugesprochen. Zum anderen werden finanzielle Sanktionen gegen die freiberuflichen Fachärzte umgesetzt, denn sonst bliebe das Procedere wirkungslos. Für die Praxen gibt es weitere Auswirkungen. In den letzten 20 Jahren sind die Einnahmen je Patient bei gegebenen Honoraren, Budgetierung und vermehrter Inanspruchnahme im GKV-Bereich ständig gesunken. Die Finanzierungssituation für GKV-Patienten und die Qualität der Medizin für den einzelnen Patienten wird durch das neue Gesetz weiter sinken. Privat- und Selbstzahler-Leistungen sollen massiv beschnitten werden. Weniger wirtschaftliche Praxen werden aufgeben müssen, vor allem im ländlichen Bereich.
  • Die in dem Gesetz geplante Öffnung der Kliniken für die ambulante Behandlung, die Möglichkeit für Kommunen, überall, auch in nicht „unterversorgten“ Regionen staatliche Medizinische Versorgungszentren (MVZ) zu gründen, spricht des Weiteren eine deutliche Sprache. Man träumt von staatsmedizinischer Regelungskompetenz. Real aber bevorzugt dieses Gesetz die Medizin-Großkonzerne, die jetzt schon mit 15 Prozent Rendite oder mehr rechnen und häufig in den Kliniken eine menschenverachtende Personalpolitik realisieren. Die Klinikärzte sind so überlastet, dass sie gar nicht in der Lage wären, zusätzlich ambulante Facharztmedizin zu realisieren. Außerdem stehen in den Kliniken die Fachärzte für ambulante Facharztmedizin im Bereich der meisten Fachgebiete gar nicht zur Verfügung. Diese gut funktionierenden Strukturen gibt es in Deutschland ausschließlich in den freiberuflichen Arztpraxen. Und hier werden sie durch eine falsche Politik gefährdet.
  • Der geplante staatlich verordnete Aufkauf von bis zu 25.000 Arztsitzen (alle, die über der 110-%-„Versorgungsgrenze“ liegen) befördert die negative Entwicklung. Hier sind alle Bereiche betroffen, sowohl Facharzt- als auch Hausarztpraxen im Bundesgebiet. Dieser Aufkauf wird weiter zur Erhöhung von Wartezeiten, Einweisungen in Kliniken und einer weiteren Senkung der ambulanten Honorare führen. Der Kreis schließt sich.
  • Gleichzeitig soll die GKV/PKV-Systemgrenze eingeebnet werden, die Einheitsversicherung bleibt weiter auf dem Plan der Gesundheitspolitik, so wie es jetzt aussieht, inzwischen aller im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien. Der schwarz-rote Gesetzentwurf trägt deutlich die Handschrift der SPD-Politik und der im Ministerium seit zwei Dekaden herrschenden Juristen wie Dr. Ulrich Orlowski, die dort als Ministerialdirigenten alle Gesundheitsminister überlebt haben.

Diese gesundheitspolitische Gröhe-Triade wird zu massiven Konzentrations-, Verdrängungs- und Verlagerungsprozessen führen, nach Schätzungen werden 10 bis 20 Prozent der freiberuflichen Praxen in Deutschland schließen müssen.

Aber genau das ist das Ziel von Kassen, Politik und Gesundheitsindustrie. Der Verband der Ersatzkassen hatte sogar eine Abschaffung von 32.000 Praxen im Vorwege des Gesetzentwurfs gefordert. Im Interesse des Erhalts guter Medizin in unserem Land ist zu fordern, dass dieses Gesetz den Bundestag nicht so verlässt, wie es hineingekommen ist.

(Quelle u. a. Dr. Thomas Drabinski, IfMDA Kiel, Magazin PVS, 4-2014)