FÄ-Chef Dietrich: „Schwerer Denkzettel für Montgomery“
Rückblick, einige Tage nach dem Deutsche Ärztetag: Hat sich die Großveranstaltung in Hamburg gelohnt? Wie lässt sich die GOÄ-Debatte bewerten? Der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ), Wieland Dietrich, zieht im Gespräch mit dem änd ein erstes Fazit.
Herr Dietrich, ob Anträge oder Wortmeldungen – die Delegierten der Freien Ärzteschaft waren auf dem 119. Deutschen Ärztetag sehr aktiv. Wie lautet Ihr Fazit der Veranstaltung?
Es freut mich, wenn Sie die Mitstreiter der Freien Ärzteschaft auf dem Ärztetag als aktiv wahrnehmen konnten. Ihnen und Ihrem Team danke ich für die umfangreiche und kritische Berichterstattung, die sich wohltuend von vielen Top-down-Verlautbarungen der Körperschaftsorgane abhebt.
Das Fazit? Der Präsident der Bundesärztekammer, Herr Prof. Montgomery, hat einen schweren Denkzettel erhalten. Es war das erste Mal in der Geschichte, dass ein Abwahlantrag gegen einen BÄK-Präsidenten gestellt wurde, und über ein Drittel der Delegierten dieses Antragsvorgehen befürworteten – in offener Abstimmung. Das ist ein deutliches Signal, dass es mit der „GOÄneu“ nicht so weitergehen darf, wie sich die Herren Montgomery und Reinhardt das bis zuletzt vorgestellt hatten.
Erinnern wir uns: Noch in seiner Begrüßungsrede sprach Herr Montgomery von den angedachten 5,8 Prozent Erhöhung über drei Jahre als Korridorobergrenze – als ob es das GOÄ-Debakel nicht gegeben und als ob die umfangreiche, begründete Kritik nicht stattgefunden hätte. Und sein Vize Herr Kaplan stelle in einer Vorbesprechung am Montag eine Zeitschiene vor, die wohl unverändert von Herrn Windhorst stammte. Das zeigt, dass hier das Stoppsignal wirklich zwingend war.
Jetzt haben wir eine deutlich bessere Beschlusslage zur GOÄ als nach dem außerordentlichen Ärztetag im Januar. Das Präsidium sollte jetzt verstanden haben, dass es sich bei den GOÄ-Kritikern mitnichten um eine „kleine Protestgruppe“ handelt, sondern um eine sehr große Zahl von Kollegen in Verbänden und Ärzteschaft, mit weitgehend einheitlicher und starker Interessenartikulation. Dies bringen auch die über 10.000 Unterschriften der Kolleginnen und Kollegen zum Ausdruck, die mit der FÄ gegen die „GOÄneu“ protestiert haben. Danke für dieses Votum!
Schauen wir uns die GOÄ-Debatte noch einmal genau an: Einige Delegierte sprachen von einer sachlicheren Debatte, als es auf dem außerordentlichen Ärztetag im Januar der Fall gewesen sei. Deckt sich das mit Ihren Beobachtungen?
Nun, der Vorsitzende konnte es sich nach dem Abwahlantrag nicht noch einmal leisten, eine so voreingenommene und vom Ablauf her undemokratische Sitzungsleitung wie im Januar zu exerzieren. Das gab in der Tat Raum für eine breitere und viel bessere Debatte, in der es übrigens kaum noch jemanden gab, der das vorherige GOÄneu-Konzept verteidigt hätte. Im Gegenteil: Die Diskussion wurde geprägt von zahlreichen Beiträgen, die die Kernelemente einer Gebührenordnung, die eines freien Berufes würdig ist, überzeugend und deutlich eingeforderten. Und ebenfalls wichtig: die der Bundesärztekammer Berichts- und Konsentierungspflichten gegenüber Berufsverbänden und Parlament auferlegten. Die Kritiker haben sich in zentralen Punkten durchgesetzt. Das führte schließlich zu der korrekten Bewertung, dass am Ende des Prozesses auch ein Verzicht auf jegliche Novellierung stehen kann, falls die geforderten Grundprämissen gegenüber PKV und Regierung nicht durchsetzbar sind.
Welche Hausaufgaben hat der Ärztetag dem Vorstand der BÄK in Sachen GOÄ konkret gegeben?
Die Bundesärztekammer soll einen von der Ärzteschaft, deren verfassten Organen und Verbänden getragenen, eigenen Entwurf für eine GOÄ-Reform erarbeiten. Dafür soll ein professionelles Projektmanagement mit aufgestockten Mitteln eingerichtet werden. Die Berufsverbände und wissenschaftlichen Fachgesellschaften sind in die GOÄ-Verhandlungen einzubeziehen und regelmäßig und umfassend über den Sachstand zu unterrichten, ihre Sachkompetenez ist einzubeziehen. Eine modernisierte GOÄ darf nicht zu einem Honorarsteuerungssystem tranformiert werden. Steigerungsfaktoren müssen generell zur Verfügung stehen, um den individuellen Behandlungsaufwand abbilden zu können. Analogziffern sind beizubehalten. Und, last but not least, für das Prozedere wichtig: Vor Verhandlungen mit PKV und Beihilfe soll der BÄK-Vorstand der Bundesärztekammer Simulationen erstellen, um die qualitativen und quantitativen Auswirkungen einer neuen GOÄ abschätzen zu können. Diese Vergleichsrechnungen sind Berufsverbänden und dem nächsten Deutschen Ärztetag 2017 vorzulegen. Ich hatte dazu in der Debatte formuliert: Das Risiko einer wirtschaftlichen Verschlechterung kann und darf die Ärzteschaft nicht eingehen. Und: Wir müssen sicher sein, dass eine neue GOÄ besser als die alte ist – sonst brauchen wir sie nicht.
In diesen Komplex gehört auch, dass BÄK-Vorstand und Mitglieder der GOÄ-Kommission nach einem von uns erwirkten Beschluss klar aufgefordert werden, ihre Posten in Gremien der privaten Krankenversicherungswirtschaft zu verlassen.
Im Vorfeld des Ärztetages hatten Sie betont, dass das Thema Kostenerstattung auch auf die Tagesordnung müsse. Viel ist darüber allerdings nicht debattiert worden, Fehlt da der Rückhalt bei der Mehrheit der Delegierten?
Wir haben dazu einen Antrag eingebracht, der leider keine Mehrheit fand, vielleicht auch deshalb, weil es aus Zeitgründen am Freitag dazu keine Debatte mehr gab. Natürlich bedaure ich, dass offenbar zahlreiche Delegierte noch nicht die Vorteile für die freie ärztliche Berufsausübung sehen, die in der Stärkung des Prinzips der Kostenerstattung liegen: Zum Beispiel der Bürokratieabbau und der Wegfall der Regresse. Der Weg weg von den Denknormierungen und -programmierungen, die ICD und Legendierungen dem Vertragsarzt vorgeben, und die Wiedergewinnung geistiger und faktischer Unabhängigkeit von den Dysregularien, die dem Sachleistungssystem heutiger Prägung immanent sind. Andererseits freut es mich, dass großes Interesse an unserem zuletzt publizierten Infoblatt zur Kostenerstattung in der Basisärzteschaft besteht. Das sehen wir an zahlreichen Fragen und Rückmeldungen dazu. Wir werden an dem Thema dranbleiben, die Umsetzung Bottom-Up scheint derzeit erfolgversprechender.
In Sachen Telematik gab es gleich mehrere Beschlüsse auf dem Ärztetag – zum großen Teil von Delegierten der FÄ gestellt. Haben sie bei diesem Punkt Ihr Ziel erreicht?
Hier konnten Delegierte der FÄ einige Beschlüsse erwirken, dies übrigens mit großen Mehrheiten, die politisch gestaltend wirken können: Kritik an den Risiken zentraler Datenvernetzung, dokumentiert durch Datenklau und Hacking – bis hin zur Patientengefährdung voriges Jahr auch in Deutschland. Selbst der BÄK-Vorstand fordert jetzt Patientenakten „in der Hand des Patienten“ – dafür haben wir jahrelang gekämpft! Dazu Stopp der unkontrollierten Milliardenausgaben mit Forderung einer Kosten-Nutzen-Analyse für die elektronische Gesundheitskarte, sowie das Verlangen eines sicheren Identitätsnachweises für dessen Träger. Es ist ja unerhört, dass die Karten Zugriff auf sensibelste Daten ermöglichen sollen, andererseits banale Sicherheitsanforderungen nicht erfüllt werden, zu deren Einhaltung das Bundesversicherungsamt die Kassen jüngst übrigens nachdrücklich aufgefordert hat. Klare Meinung der FÄ zu dem Thema: Die Karten dürfen ohne sicheren Authentifizierungsprozess nicht für irgendeine Online-Funktionalität verwendet werden, auch nicht für das Versichertenstammdatenmanagement. Dass das Gesundheitsministerium hierzu schweigt, ist ein Skandal!
Es gibt immer wieder Kollegen, die am Sinn des Ärztetages beziehungsweise seiner berufspolitischen Schlagkraft zweifeln. Welches Resümee ziehen Sie: Lohnt sich das Engagement unter dem Strich?
Jeder hat das Recht, sich ins Private zurückzuziehen. Wer aber politische Wirkung entfalten möchte, sollte auf vielen Ebenen politischer Aktion engagiert sein. Der Ärztetag gehört dazu, und für die Teilnahme daran ist die Präsenz in den Landesärztekammern nun einmal Grundlage. Allerdings ist es wohl besonders die Freie Ärzteschaft, die immer wieder auch durch Information und Einbeziehung unserer zahlreichen Kolleginnen und Kollegen in den Praxen und anderswo in Erscheinung tritt. Bei unserer 10.000er Aktion zur GOÄ haben wir übrigens auch Zuspruch von leitenden Ärzten an Kliniken erhalten, nicht nur von niedergelassenen Vertrags- und Privatärzten.
Damit sich das Engagement auf dem Ärztetag lohnt, damit es auch nachhaltig ist, muss man aber am Ball bleiben. Es gibt dort nicht ein „Endspiel“ und dann vier Jahre lang „nichts“. Politik ist auch hier ein Prozess, und Revolutionen sind, wie im allgemeinen, selten. Das Prozesshafte bedeutet, dass man immer erneut aktiv werden muss, um die Richtung mitzugestalten. Die GOÄ ist ein Paradebeispiel dafür – auch hier muss konsequent nachgefasst, der Druck auf die Beteiligten aufrechterhalten und Kontrolle ausgeübt werden. Für die Kollegenschaft bedeutet das: Wachsam und protestbereit bleiben, sich zu Wort melden. Nebenbei hat jeder in seinem persönlichen Tätigkeitsumfeld Chancen und Möglichkeiten, sich um die Verbesserung seiner eigenen Berufsausübungssituation zu kümmern. Nur Mut! Der Freiberufler ist hier gegenüber dem Angestellen grundsätzlich im Vorteil.
Quelle: Ärztenachrichtendienst 01.06.2016, Interview: Jan Scholz
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