FÄ-Chef Dietrich:
„Paradoxerweise kann die Ärzteschaft froh sein, dass diese GOÄneu nicht kommt“
Die Bundesärztekammer (BÄK) hat dem Bundesgesundheitsminister eine neue GOÄ übermittelt. Doch der politische Wille, die Reform endlich anrollen zu lassen, scheint im Hause von Karl Lauterbach kaum gegeben. Vielleicht ist das im Hinblick auf Struktur und Preisgestaltung der neuen Gebührenordnung auch gar nicht so schlecht, meint der Vorsitzende der Freien Ärzteschaft, Wieland Dietrich. Der Dermatologe aus Essen sieht schwere Fehler in der neuen Gebührenordnung. Im Gespräch mit dem änd spart er auch in Richtung BÄK nicht mit Kritik.
Herr Dietrich, das Thema GOÄ scheint auf politischer Ebene immer mehr zu verblassen. Haben Sie Hoffnung, dass sich das Bundesgesundheitsministerium unter Herrn Lauterbach in dieser Legislaturperiode noch mit dem Thema beschäftigt?
Es ist klar, dass die Novellierung der GOÄ im Bundesgesundheitsministerium aufs Abstellgleis geschoben wurde. Herr Lauterbach will keine Novellierung, was er auch mehrfach deutlich gemacht hat. Die Grünen wollen sie nicht, und die Beihilfen auch nicht. Die PKV blockiert im Hintergrund weiter, wie unmittelbar vor dem Ärztetag in Bremen, als sie der BÄK in den Rücken fiel mit der Verlautbarung, es gäbe ja gar keine Konsentierung.
Herr Dr. Reinhard steht mit dem Einreichen des „ärztlichen Entwurfs“ allein auf weiter Flur. Bereits formal besteht keine Chance einer Novellierung, solange der Entwurf nicht gemeinsam von BÄK und PKV kommt. Die PKV glaubt, der Inflationsgewinner zu sein, was ja auch stimmt, wenn die Ärzte ihr Abrechnungsverhalten nicht konsequent anpassen!
Kurzum: Wer an eine neue GOÄ in dieser Legislatur glaubt, glaubt auch an den Weihnachtsmann. Wobei das Thema auch deshalb verblasst, weil die BÄK ihre theoretische Rolle einer ärztlichen Interessenvertretung im Hinblick auf die Honorarfrage der freiberuflichen Ärzte völlig missachtet.
Deutliche Worte. Aber schauen wir doch zunächst noch einmal auf die Gebührenordnung selbst: Wie fällt Ihr Urteil zur neuen GOÄ aus, die von der Bundesärztekammer bereits an das Ministerium geschickt wurde? Es gibt ja inzwischen auch viele kritische Stimmen, was zum Beispiel den Paragraphenteil angeht.
Die Freie Ärzteschaft hat sich intensiv mit dem Paragraphenteil der GOÄneu befasst – und warnt seit Jahren davor. Die Berufsfachverbände wurden damit gar nicht konfrontiert, was an sich unerhört ist. Der Paragraphenteil wird weiter unter der Decke gehalten, aber wir hatten ihn früh zugespielt bekommen. Hauptkritikpunkt ist die „Gemeinsame Kommission“ (GeKo), die eine Rolle ähnlich dem G-BA sowie dem Bewertungsausschuss in der GKV übernehmen soll. Die Ärzteschaft verliert die Hoheit über die GOÄ, die sie jetzt noch in der Gebührenordnungskommission hat, außerdem bei der Definition von Analogbewertungen, die jeder Arzt autonom derzeit treffen kann, und bei den Steigerungsfaktoren.
Die GeKo soll a) nach Paragraf 2 GOÄneu Empfehlungen zur Sicherung der Qualität geben – aber was hat das in einer Gebührenordnung zu suchen? b) Über- und Unterbewertungen in der Bepreisung der Leistungen beseitigen – das ist wie beim Bewertungsausschuss. Was hat das mit „betriebswirtschaftlich festgelegten“ Preisen zu tun? Sie soll c) die Liste der Anwendung des 2fach-Satzes festlegen, d) Analogabrechnungen beschließen und e) die Abrechnungsbestimmungen interpretieren sowie f) nach Paragraf 11b Modellvorhaben zur Verbesserung der Versorgungsstruktur und -qualität machen, die nach positiver Evaluation dem BMG mit der Empfehlung zur Übernahme in die GOÄ vorgelegt werden. Fazit zur GeKo: Sparkommissar für PKV und staatliche Beihilfe einerseits, Public-Private-Partnership zur Steuerung ehemals freiberuflicher Medizin andererseits.
Sie sehen also praktisch Parallelen zu den Reglementierungsmechanismen in der GKV?
Es ist klar, dass wir es dann mit einer groben GKVisierung der GOÄ zu tun hätten. Gremium, Aufgabenstellung, Besetzung: Es würde gesteuert und reguliert, was Leistungen, Preise, so genannte Qualität, Weiterbildungsvoraussetzungen und sogar Strukturfragen anbelangt, was das Zeug hält. Wenn es denn überhaupt zu Beschlüssen käme: In der Geko stünde es bei Abstimmungen 4:4, weil PKV und Beihilfen je zwei Vertreter entsenden können – ein Patt auf Dauer ist absehbar. Und dies unter der optimistischen Annahme, dass die vier Ärztevertreter sich überhaupt für die Ärzte ins Zeug legen wollten, was in der Honorarfrage seit langem generell nicht wahrnehmbar ist.
Weitere Negativpunkte der GOÄneu sind wirtschaftliche Aufklärungspflichten, verankert auch in der Gebührenordnung, maschinenlesbare Rechnungen mit ICDs und OPS-Codes – klar, das braucht man, wenn man kontrollieren und steuern will. Privatärztliche Verrechnungsstellen sollen auf Verlangen die Leistungsdokumentation vorlegen. Damit kann man die Abläufe für Ärzte und PVS so kompliziert und teuer machen, dass die Abrechnung an sich massiv behindert wird.
Soweit zur Struktur. Kommen wir zu den Preisen: Schaut man sich die Aussagen von PKV und BÄK in der Sache an, hat man Zweifel, dass mit der neuen GOÄ ein Preissprung verbunden sein könnte, der die Inflation der letzten Jahrzehnte ausgleicht. Es ist ja meistens von einem „Korridor“ die Rede, der bei um die sechs Prozent liegt. Wäre das in Ihren Augen akzeptabel?
Das ist inakzeptabel, denn es würde insbesondere die hohen Inflationsverluste der Jahre 2022 und 2023 zementieren. Aber auch den Wertverlust seit 2013, dem Jahr der Rahmenvereinbarung, und dem langen Zeitraum davor. Von 1996 bis Ende 2022 lag die Preissteigerungsrate in Deutschland nach Daten von Destatis bei 56 Prozent, der Kaufkraftverlust der GOÄ-Honorare damit bei über 36 Prozent. Ich sehe keine auch nur ansatzweise angemessene Kompensation über die GOÄneu.
Der Deutsche Ärztetag 2022 hatte die Bundesärztekammer aufgefordert, die Ärzteschaft über die rechtskonforme Möglichkeit der Anwendung besonderer Honorarvereinbarungen (Abdingung) mit höheren Steigerungsfaktoren als dem 2,3-fachen Regelsteigerungssatz nachhaltig zu informieren, sollte der Verordnungsgeber die GOÄneu nicht bis zum 31.Dezember 2022 in Kraft setzen. So ist es ja gekommen. Haben Sie schon etwas von einer Infokampagne mitbekommen?
Etwas mitbekommen, davon? Im Ernst? Es ist gar nichts passiert. Die Bundesärztekammer fährt weiter im Schlafwagen. Sie hat nichts getan – weder die Öffentlichkeit noch die Ärzteschaft über Faktorsteigerungen informiert, auch nicht über besondere Honorarvereinbarungen. Herr Dr. Reinhard hatte ja auch mehrfach geäußert, es ginge den Ärzte nicht wirklich um höhere Honorar – was soll man von so einem Vorsitzenden erwarten? Übrigens hat der von Ihnen erwähnte Beschluss 131 des Ärztetages von Bremen auch die Landesärztekammern direkt adressiert, die Ärzteschaft im Hinblick auf bessere Abrechnung zu bestärken. Aber auch fast alle Landesärztekammern haben hier versagt. In Nordrhein gab es eine schüchterne Publikation – politisch gesehen war die ziemlich wertlos. Die Bundesärztekammer kann man angesichts ihrer Ignoranz gar nicht als Interessenvertretung der Ärzte bezeichnen – und das, obwohl die Gebührenordnung ein Kernelement jedes freien Berufes ist!
Auch wenn ein Großteil des BÄK-Vorstands durch Vertreter des Marburger Bundes repräsentiert wird: Der MB als Gewerkschaft für angestellte Ärzte ist bekanntermaßen in Tariffragen durchaus schlagkräftig. Es ist aber schäbig, dass dessen Vertreter im Hinblick auf die wirtschaftlich selbständigen, aber auch alle anderen liquidationsberechtigten Ärzte in der Honorarfrage, völlig versagen. Der BÄK-Vorstand ist ja gesamtverantwortlich, nicht nur Herr Dr. Reinhard. Nach Äonen einer GOÄ ohne Honoraranpassung müsste dort permanent größte Empörung herrschen, hätte man nur ein wenig die Berufsumstände aller, also auch der selbständig abrechnenden Ärztinnen und Ärzte im Blick.
Was erwarten Sie jetzt von der Bundesärztekammer – und wie sollten die Kollegen mit dem Thema GOÄ umgehen?
Es ist kaum begreiflich, dass Herr Dr. Reinhard und die BÄK noch an der GOÄneu in absehbarer Zeit festhalten, angesichts der politischen Realität unter Herrn Lauterbach. Paradoxerweise kann die Ärzteschaft froh sein, dass diese GOÄneu nicht kommt – wesentliche Risiken und Nebenwirkungen habe ich oben aufgelistet. Wir können mit der geltenden GOÄ gut arbeiten, und haben oftmals die Möglichkeit, die Honorare um bis zu 50 Prozent zu steigern, bei Ansatz des 3,5fachen Satzes. Leider gilt das nicht für alle Fachgruppen. Aber für alle gibt es die Option der besonderen Honorarvereinbarung, die der Ärztetag ja auch favorisiert hat!
Es wäre Aufgabe von Herrn Dr. Reinhard und der BÄK, der Ärzteschaft jetzt unverzüglich einen klaren Fahrplan mit Steigerungs- und Abdingungsempfehlungen, besonders für direkte Behandlungen am Patienten, vorzulegen. So wie es der Ärztetag in Bremen beschlossen hat. Allerdings erwarte ich von der Bundesärztekammer in der Hinsicht kaum noch etwas. Es fehlen offenbar Wille und Mut, nach dem glücklichen Scheitern der GOÄneu andere Wege zu suchen, um der Ärzteschaft den notwendigen und seit Jahren überfälligen Honorarausgleich zu ermöglichen. Aber zum Glück sind wirklich selbständige Ärzte bei der jetzigen GOÄ davon am Ende auch nicht abhängig!
Noch ein Wort zur Rolle der BÄK im Kontext der verfassten Ärzteschaft: Man mag sich über die seit Jahren fortschreitende Bedeutungslosigkeit der Ärzteschaft im politischen Raum zurecht beklagen. Wenn man dann aber selbst maßgebliche Beschlüsse seines eigenen hohen Gremiums, des Ärztetages, dermaßen ignoriert, dann macht man sich selber noch weiter bedeutungslos. Und das wird von den Kontrahenten in Politik, der PKV und anderen durchaus wahrgenommen.
(Quelle: änd – Ärztlicher Nachrichtendienst, Hamburg, js, 25.2.23)