Die geplante elektronische Patientenakte führt in die Sackgasse

Die Freie Ärzteschaft fordert von den Ampelkoalitionären die Rücknahme der geplanten und schon jetzt viel kritisierten „Opt out“-Option bei der elektronischen Patientenakte (ePA). Die ePA soll im kommenden Jahr an den Start gehen und nach Meinung der Ampel automatisch für alle gesetzlich Versicherten von Geburt an verpflichtend als lebenslange Krankenakte angelegt werden, sofern dem nicht aktiv widersprochen wird („Opt out“). Damit gäbe es einen Paradigmenwechsel gegenüber der bisherigen Gesetzeslage.

Die Pläne sind vergleichbar mit der letztlich gescheiterten Idee einer Widerspruchslösung bei der Organspende aus dem Jahr 2020, wonach jeder Bundesbürger zunächst automatisch Organspender geworden wäre und später hätte widersprechen müssen. „Auch bei der elektronischen Patientenakte können wir uns dieses Prozedere überhaupt nicht leisten“, sagt Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft und niedergelassene Allgemeinmedizinerin in Hamburg.

Unabhängig von der geplanten „Opt out“-Regelung sei die ePA nach wie vor völlig unausgereift und nicht mehr als eine unsortierte Sammlung von Dokumenten, die für Ärzte kaum nutzbar ist. „Von einer Verbesserung der Versorgung durch digitale Anwendungen kann nicht die Rede sein“, sagt Lüder. „Die Politik sollte einsehen, dass der geplante Weg in eine Sackgasse führt. Denn so wird es zu Chaos in den Arztpraxen bis hin zum Zusammenbruch der ambulanten Versorgung kommen. Wir wollen Patientinnen und Patienten behandeln und die Zeit nicht damit verbringen, eine zentral gespeicherte elektronische Akte, die diesen Namen nicht verdient, nach allen möglichen Befunden zu durchsuchen und zu bearbeiten.

Beim Kongress der Freien Ärzteschaft, der kürzlich in Berlin stattfand, referierte unter anderem Dirk Wachendorf, Rechtsanwalt und Fachanwalt für Medizinrecht, über „Juristische Risiken für Ärztinnen und Ärzte durch die Nutzung der elektronischen Patientenakte“. Laut Wachendorf können Patienten ihre ePA selbst inhaltlich befüllen, soweit dies nicht durch den Arzt erfolgt, und auch Inhalte löschen. Zudem kann der Patient dem Arzt ganz oder nur teilweise Zugriff auf die elektronische Patientenakte geben. Die Ärzte könnten deshalb prinzipiell nicht von einer medizinisch vollständigen Akte ausgehen. Eine unvollständige Sichtung der ePA impliziere einen Befunderhebungsfehler, dieser führe schnell zu einer Beweislastumkehr, Haftung und Verantwortlichkeiten des Arztes würden durch die ePA ausgeweitet.

„Uns Ärzte sollte diese Einschätzung aufrütteln“, sagt Silke Lüder. „Wir sollten als Berufsstand alles dafür tun, uns nicht auf juristisches Glatteis zu begeben.“ Darüber hinaus gäbe es bei der ePA in der geplanten Form ein massives Risiko für die Datensicherheit in Kliniken und Praxen. Denn es könnten vom Patienten Dokumente in verschiedensten Dateiformaten eingestellt werden, womit erhebliche Risiken durch eingeschleppte Schadsoftware entstehen. „Niemand kann es verantworten, sein Praxisverwaltungssystem einem solch unkalkulierbaren Risiko auszusetzen, und damit die Sicherheit der Patientendaten und die gesamte Funktionsfähigkeit der Praxis-EDV aufs Spiel zu setzen“, erläutert Lüder.

Wieland Dietrich, Vorsitzender der Freien Ärzteschaft, teilt Lüders Bedenken. „Da hilft dann auch keine Datenschutzfolgeabschätzung mehr“, ergänzt er. Dietrich weiter: „Sollte diese ePA Einzug in die Arztpraxen halten, entsteht die Notwendigkeit zur ‚doppelten Aktenführung‘, weil wir uns auf die ePA alleine überhaupt nicht verlassen können – denn sie ist ja nicht verlässlich und womöglich nicht vollständig“. Deshalb, und bereits aus Dokumentationsgründen, sei die Praxis- oder Klinikeigene Patientenakte stets weiter zu führen. Dietrich betont: „Das wäre ein bürokratischer Gau. Die ePA bringt in der geplanten Form kaum Nutzen für den Patienten – stattdessen doppelte Aktenführung und unkalkulierbare Haftungs- und Datensicherheitsrisiken für Ärzte in Klinik und Praxen. Sie kann damit für Patienten und Ärzte allenfalls freiwillig sein.“

Über die Freie Ärzteschaft e.V.

Die Freie Ärzteschaft e. V. (FÄ) ist ein Verband, der den Arztberuf als freien Beruf vertritt. Er wurde 2004 gegründet und zählt heute mehr als 2.000 Mitglieder: vorwiegend niedergelassene Haus- und Fachärzte sowie verschiedene Ärztenetze. Vorsitzender des Bundesverbandes ist Wieland Dietrich, Dermatologe in Essen. Ziel der FÄ ist eine unabhängige Medizin, bei der Patient und Arzt im Mittelpunkt stehen und die ärztliche Schweigepflicht gewahrt bleibt.

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