Ärzte beklagen Übergriffigkeit des Gesetzgebers  

Die aktuelle Gesetzgebung macht es mit Überregulierung und Unterfinanzierung den niedergelassenen Ärztinnen und Ärzten zunehmend schwerer, ihren Beruf im Sinne der Patienten auszuüben. Darin waren sich die Teilnehmer einer öffentlichen Fachdiskussion im Vorfeld der Mitgliederversammlung der Freien Ärzteschaft am 30. November 2019 in Düsseldorf einig und haben eine Resolution verabschiedet.

Im Wortlaut:

Die Mitgliederversammlung der Freien Ärzteschaft beklagt die zunehmende Übergriffigkeit des Gesetzgebers auf die ambulante ärztliche Tätigkeit, kulminierend im Terminservice- und Versorgungsgesetz (TSVG) und im Digitale-Versorgung-Gesetz (DVG).

Zahlreiche Inhalte und Normen in diesen Gesetzen machen deutlich, dass die Kassenärztliche Bundesvereinigung (KBV) und die Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen) nicht mehr maßgeblich als Selbstverwaltungen oder gar Interessenvertretungen der Ärzte zu betrachten sind, sondern durch den Gesetzgeber zu Behörden der mittelbaren Staatsverwaltung umgestaltet wurden. KBV und KVen müssen alle Gesetzesvorschriften auch gegen den vielfach erklärten Willen der ehrenamtlich in den ärztlichen Körperschaften engagierten Ärzte und der gesamten Ärzteschaft umsetzen. Vertragsärzte sind infolge der Regelungen des Sozialgesetzbuches V in weiten Bereichen ihrer Tätigkeit keine Selbstständigen mehr. Die Freiberuflichkeit und professionelle Autonomie der ambulant tätigen Ärzte wird in vielerlei Hinsicht eingeschränkt und behindert.

Wir ermutigen die ambulant tätigen Ärztinnen und Ärzte Deutschlands, sich im Spagat zwischen staatlicher Normierung und Überregulierung ihrer Tätigkeit sowie fortgesetzter Unterfinanzierung einerseits und den berechtigten Ansprüchen der Patienten sowie der Erfordernis zu fachlich ordnungsgemäßer und empathischer Berufsausübung andererseits für den Patienten und gegen die Umsetzung schädlicher organisatorischer oder in anderer Hinsicht patientenfeindlicher Normen zu entscheiden. Die Arztgesundheit und das Recht von Ärztinnen und Ärzten auf ein der Bedeutung ihrer Tätigkeit entsprechendes Honorar sind zu berücksichtigen.

Diese Positionierung beinhaltet:

  1. Gesetzliche Regelungen zur Terminvergabe sollten nicht umgesetzt werden, wenn sie einer sinnvollen Organisation der Praxis oder des Medizinischen Versorgungszentrums (MVZ) und damit einer sinnvollen Patientenbehandlung zuwider laufen.
  2. Die Terminvergabe in Praxen und MVZ soll sich am Patienten, an den Vorstellungen der Ärztinnen und Ärzte von sinnvollen organisatorischen Abläufen, an deren medizinischen Fähigkeiten und Interessen sowie an objektiven medizinischen Erfordernissen orientieren.
  3. Sicherheit, Gesundheit und berufliche Zufriedenheit von Ärztinnen und Ärzten sowie dem gesamten Praxispersonal sind anzustreben.
  4. Wirtschaftliche Notwendigkeiten einer erfolgreichen und nachhaltigen Praxisführung sind nicht nur als legitim zu berücksichtigen, sondern sind auch notwendige Voraussetzung für den Fortbestand guter, niederschwelliger ambulanter Medizin und für die Attraktivität des Arztberufes. Wirtschaftliche Zumutbarkeit für Vertragsärzte und Privatärzte bedeutet, dass generell ärztliche Leistungen erwartet werden können, die auch einen Beitrag zu einer guten wirtschaftlichen Existenz des Arztes oder der Ärztin und der Praxis leisten.
  5. Sollte es bei Beachtung der Punkte 1. bis 5. für den Arzt oder die Ärztin zu Konflikten mit der Aufsichtsbehörde für die Vertragsärzte, den Kassenärztlichen Vereinigungen kommen, so sollen Ärzte untereinander solidarisch sein, und die ärztlichen Berufsverbände sollen den Arzt oder die Ärztin nach besten Kräften unterstützen.
  6. Leistungen, die nicht adäquat vergütet werden, können vom Arzt freiwillig erbracht werden, dies ist im weiteren Sinne als sozial-karitative Tätigkeit zu betrachten.
  7. Das Versagen des Gesetzgebers bei der Aufwertung und Novellierung der Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) seit 1996 hat zur Folge, dass von Vertrags-, Privat- und anderen liquidationsberechtigten Ärztinnen und Ärzten häufiger von höheren Steigerungsfaktoren oder von gesonderten Honorarvereinbarungen Gebrauch gemacht werden muss. Dies dient insbesondere dem Zweck, trotz stetig steigender Struktur- und Personalkosten eine gute Behandlungsqualität im privatärztlichen Bereich aufrechtzuerhalten.
  8. Zunehmend restriktive Erstattungen von Versicherungen und Beihilfestellen dürfen kein Anlass oder Kriterium sein, dem Patienten wichtige und moderne Leistungen vorzuenthalten oder anderweitig Abstriche bei der Behandlungsqualität zu machen. Die Medizin muss auch im Rahmen der Privatmedizin das Primat vor der Ökonomie haben und nicht umgekehrt.