Diagnosen sind ärztliche Arbeitsergebnisse, keine Instrumente zur Geldverteilung
Auf dem Kongress Freier Ärzte kürzlich in Berlin stand ein heikles Thema auf dem Programm: „Geld für Diagnosen“. Einig waren sich die Podiumsgäste darin, dass der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) mit Geldumverteilung zwischen den Krankenkassen anhand von Diagnosen große Gefahren berge. „Er führt zu Fehlanreizen, Regressproblemen und Druck der Kassen auf die Ärzte“, sagte Dr. Silke Lüder, Vizevorsitzende der Freien Ärzteschaft (FÄ).
Auf dem Weg in eine industrielle Gesundheitswirtschaft
Dr. Thomas Kriedel, Vorstand der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, hält die Risikoverteilung im System der Gesetzlichen Krankenversicherung zwar für richtig. Aber: „Der Morbi-RSA muss auch auf die ärztliche Vergütung durchschlagen.“ Und Jürgen Hohnl, Geschäftsführer des IKK e. V. monierte, dass der Morbi-RSA Kodieranreize statt Präventionsanreize setze. Scharfe Kritik kam auch von Professor Paul Unschuld, Autor des Buches „Ware Gesundheit“: „Pharmaindustrie, Klinikinvestoren, IT- und Werbeindustrie sowie Krankenversicherungen wollen das Arzt-Patienten-Verhältnis nach ihren eigenen Interessen formen.“ Der Medizinhistoriker sieht unser Gesundheitswesen auf dem Weg in eine industrielle Gesundheitswirtschaft. Es gehe offensichtlich darum, mit den richtigen Krankheitsbildern und Diagnosen Gewinn zu machen.
Jeden Tag eine Stunde zusätzliche Arbeit
FÄ-Vize Lüder machte noch einmal deutlich, was Diagnosen in der Arbeit von Ärzten bedeuten: „Sie sind unsere ärztlichen Arbeitsergebnisse und nur dazu da, die Patienten besser zu behandeln. Wir wollen für ärztliche Leistungen bezahlt werden, nicht für Diagnosen, die sich für die Kassen lohnen. Mit einer transparenten Kostenerstattung wäre es gar nicht möglich, an Diagnosen herumzutricksen.“ Neue Ambulante Kodierrichtlinien, wie sie bereits 2011 gescheitert sind, lehnt Lüder weiter ab: „Für Hausärzte würde das eine Stunde zusätzliche Arbeit pro Tag bedeuten. Und was soll dabei rauskommen? Managed-care-Medizin, also von Kostenträgern gesteuerte Versorgung. Das wirtschaftliche Risiko wird dadurch vom Kostenträger auf den Leistungserbringer übertragen, egal wie groß der Behandlungsbedarf des einzelnen Patienten ist – das ist ein Fehler im System.“
„Den Diagnosequatsch machen wir nur für die Kassen“
Auch das fachkundige Publikum hielt mit seiner Meinung nicht hinterm Berg. „Der Aufwand, den wir Niedergelassenen mit der Diagnostik haben, hat nichts mit dem Morbi-RSA zu tun“, konstatierte der Berliner HNO-Arzt und Vorsitzender des MEDI-Verbunds Berlin, Dr. Matthias Lohaus. Das Geld sei nur für die Kassen. Den Aufwand für den Arzt bildeten die Diagnosen nicht ab. „Den ganzen Diagnosequatsch machen wir allein für Kassen – und um unsere Medikamenten- und Therapieverordnungen abzusichern.“
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